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Schnee satt – aus vollen Rohren

Nie zuvor gab es so viele Schneekanonen in Deutschland. „Wir müssen den Touristen bieten, was sie wollen.“ Naturschützer sind resigniert ■ Aus Sonthofen Klaus Wittmann

Vor drei Jahren noch tobte eine weite Kreise ziehende Schlacht um neue Schneekanonen. Vor allem aus dem Allgäu, dem deutschen Wintersportgebiet schlechthin, waren äußerst kritische Töne zu hören. Inzwischen ist es erstaunlich ruhig geworden. Dabei wurde in aller Stille aufgerüstet.

Nie zuvor wurde so viel Kunstschnee in Deutschland erzeugt wie diesen Winter. 1987 gab es im Oberallgäu nur eine genehmigte Anlage, nämlich am Fellhorn. Zehn Jahre lang wurde keine neue Anlage mehr beantragt. Mittlerweile freilich – also in den letzten zwei Jahren – haben 25 Lifte Beschneiungsanlagen beantragt. Die Genehmigungsliste liest sich fast wie das komplette Liftverzeichnis im Allgäu: Fellhornbahn Oberstdorf 12,8 Hektar, Stixner Lift 4 Hektar, Riedberger Horn 1,5 Hektar, Ofterschwanger Horn 27 Hektar, Söllereckbahn 6,23 Hektar, Oberjoch 25 Hektar – exakt 153,51 Hektar künstliche Beschneiung sind inzwischen genehmigt worden. Das ist zwölfmal so viel wie vor zehn Jahren.

Einen solchen Schneekanonenboom hätte sich noch vor drei Jahren nicht einmal der Bund Naturschutz (der BUND in Bayern) als Hauptkritiker in seinem schlimmsten Szenario zum Thema „Wettrüsten in den Alpen“ vorstellen können. Doch dann preschte der umstrittene CSU-Politiker Alfons Zeller, damals noch Finanzstaatssekretär, vor. Beschneiungskanonen seien „die friedlichsten Kanonen der Welt“. Zeller fand im Landrat des pistenreichsten Landkreises Deutschlands, in Gebhard Kaiser, einen emsigen Mitstreiter. Dessen Genehmigungsbehörde kannte fortan keine Grenzen mehr.

„Die Zeiten haben sich geändert“, meint der für Natur- und Wasserrecht zuständige Abteilungsleiter Gottfried Mayrock. „Wir haben inzwischen eine stattliche Anzahl von Anlagen. Es geht um die Saisonsicherung, nicht mehr nur um eine Saisonverlängerung.“ Nachteile für die Natur seien nicht erkennbar, ganz im Gegenteil: Schneearme Abrisskanten würden vielmehr geschont. Außerdem seien im Allgäu gerade mal zehn Prozent der Pisten künstlich beschneit. Aus touristischen Gründen sei das gar nicht mehr anders möglich, meint Mayrock. „Wir können heute den Kunden nicht mehr dazu erziehen, das Angebot wahrzunehmen, das wir ihm bieten wollen, sondern wir müssen ihm letztendlich das bieten, was er nachfragt.“ Und das seien nun mal ideale Wintersportbedingungen. Genau so argumentieren auch die Liftbetreiber, die zig Millionen Mark in die Ausrüstung mit Beschneiungsanlagen gesteckt haben.

Dieses Jahr zum ersten Mal mit dabei im Kunstschneereigen sind die Grüntenlifte am Allgäuer Hausberg. Zum 40-jährigen Bestehen der Liftanlagen investierte die Betreiberfamilie Prinzing rund vier Millionen Mark, das Gros davon in moderne, computergesteuerte Schneekanonen. Hoch oben am Berg wurde ein künstlicher See als Wasserspeicher angelegt. Bislang scheiterte die Genehmigung für den Bau einer solchen Anlage immer wieder an Widerständen, sagt der kaufmännische Leiter, Christian Prinzing. „Erst die letzten Jahre wurde es leichter, und da haben wir eben aufgerüstet, wie sie so schön sagen, und gebaut, um den Tourismusbetrieb zu sichern.“ Zu viele Urlauber seien nämlich in der schneearmen Hochsaison zwischen Weihnachten und Heilige Drei Könige ins nur wenige Kilometer entfernte Österreich gefahren, wo schon immer recht großzügig mit der Kunstschneeproduktion umgegangen wurde. Allerdings: Kunstschnee-Erzeugung sei auf die Dauer ein teures Vergnügen, meint Wasserrechtler Mayrock. „Man muss wissen, dass die Beschneiung von einem Hektar Piste pro Jahr zirka 30.000 Mark kostet.“ Teuer, so entgegnen Liftbetreiber und Hotelbesitzer, sei vielmehr das Ausbleiben der Touristen wegen Schneemangels.

Fährt man diesen Winter durchs verschneite Allgäu, so sieht man trotz der guten natürlichen Schneegrundlage an den Liften die Schneekanonen im Dauereinsatz. Kosten hin oder her: Es wird beschneit auf Teufel komm raus.

Das findet auch der Oberallgäuer Kreisrat Heinz Möschel, Mitglied im Umweltplanungsausschuss des Landkreises, in dem die meisten Schneekanonen Deutschlands laufen. Der Grünen-Kreispolitiker weiß freilich auch, dass an der Entwicklung hin zu immer mehr Schneekanonen wohl kaum mehr was zu ändern sein dürfte. „Speziell im Oberallgäu gab es von 1996 bis 1999 eine wahre Genehmigungslawine für Beschneiungsanlagen. Ich kann’s auch irgendwo verstehen, denn die wollen halt ihren Wintertourismus retten, aber ich halt’s trotzdem nicht für den richtigen Weg!“

Möschl weiß recht genau, wovon er spricht. Bis vor etlichen Jahren war er selbst stellvertretender Leiter bei zwei Allgäuer Bergbahnen. Doch als aktives Mitglied im Bund Naturschutz kritisiert er den hohen Energieverbrauch, den immensen Naturverbrauch und den großen Wasserdurst der Schneekanonen gerade in der wasserarmen Winterzeit. Die ursprüngliche Idee, nur dort zu beschneien, wo durch Windeinwirkung oder Steilhänge sehr schnell die Grasnabe freigelegt wird, sei längst aufgegeben worden. Heute werde großflächig beschneit. Die Alternativvorschläge – Schlagwort „sanfter Tourismus“ – will derzeit kaum jemand hören. Nüchtern stellt er fest. „Es ist aus meiner Sicht leider so, dass die Schlacht verloren ist.“ Zwar ist die gesamte Region in den vergangenen zwei, drei Jahren so intensiv mit Schneekanonen ausgerüstet worden, dass kaum mehr allzu viele Neuanträge eingereicht werden dürften. Doch was bis jetzt gebaut wurde, bleibt wohl auch so stehen.

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