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Wenn es nicht so richtig funken will

Sie wollen einfach nicht heiraten: deutsche und russische Juden. Und das ist – auch – ein Problem für den nächsten Vorsitzenden des Zentralrates. Über die schwierige Integration jüdischer Zuwanderer ■ Von Julia Gerlach

José Weber ist diskret. Davon lebt er. Er ist Heiratsvermittler, arrangiert jüdische Ehen. „Es ist sehr schwierig, den richtigen Partner zu finden. Entweder man kennt sich schon ewig, weil man aus der gleichen Stadt stammt und schon zusammen im Kindergarten der Gemeinde gespielt hat – wer soll sich da noch verlieben? –, oder man trifft sich nie, weil er in London und sie in Frankfurt lebt“, sagt er. Also hilft er nach. Schließlich sind diese Ehen wichtig für den Fortbestand des Judentums in Deutschland.

Graumelierte Haare, gestreiftes Hemd, Jeans. Ein Mann im besten Alter. Sein Büro liegt im Frankfurter Nordend, eine gute Adresse, die Firma hat Tradition. In den letzten Jahren ist seine Kartei gewachsen. Seit 1990 sind 110.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland gekommen. Einige von ihnen haben sich an José Weber gewandt, auf der Suche nach der passenden Partie. „Ich finde es nicht richtig, dass jetzt immer so böse über die Neueinwanderer gesprochen wird, schließlich wollten wir doch unbedingt, dass sie kommen“, sagt er. „Wir waren so wenige Juden und der Altersdurchschnitt ist viel zu hoch. Die Neueinwanderer sind eine Bereicherung.“

Diese Meinung teilen jedoch nicht viele seiner Klienten: Binationale Ehen sind eine Seltenheit. Es heißt, die Deutschen denken, dass die Russen es nur auf ihr Geld abgesehen haben, und die Russen finden, dass man über wahre Liebe nicht auf Deutsch sprechen kann.

Im jüdischen Gemeindeleben ist es derzeit ähnlich, so richtig gefunkt hat es noch nicht zwischen den Neuen und den Alten. Zu viele Gefühle. Zu viele Probleme.

„Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als die ersten russischen Juden zu uns in die DDR kamen“, sagt Irene Runge vom Jüdischen Kulturverein in Berlin. Sie hatte damals, im Februar 1990, mit dafür gesorgt, dass die letzte Regierung der DDR die Flüchtlinge aufnahm. Das war der Anfang der großen Einwanderung: „Wir hatten ein Fest arrangiert, die Kinder brachten den Neuankömmlingen Spielzeug, aber die Neuen wollten das gar nicht, denen waren unsere Geschenke nicht gut genug.“

Dabei ist Irene Runge keine, die dann einfach die Tür zugemacht hat. Sie hat einen Ratgeber geschrieben mit Tipps für das Leben in Deutschland, und in den schönen, hellen Räumen ihres Vereins direkt neben der Neuen Synagoge treffen sich regelmäßig die verschiedensten Gruppen von Neueinwanderern. „Viele kommen zu uns, solange sie Probleme haben. Sind die Probleme gelöst, tauchen sie nie wieder auf“, sagt sie. „Ich glaube, sie haben gar kein so großes Interesse an uns Alteingesessenen und auch nicht an der jüdischen Gemeinde.“ So klingt Enttäuschung.

Die Alteingesessenen fühlen sich in die Ecke gedrängt

Neueinwanderer. Kein Interesse an den Alteingesessenen. Ludmila Schejnkman lebt in Koblenz und ist so eine Neueinwanderin. 52 Jahre, ständig in Bewegung: Kocht Nescafé, serviert weißen Käse, dann mal schnell telefonieren. Aber als sie die Frage hört, wie es denn so sei, mit den Neuen und den Alten, da nickt sie bedächtig. „Na ja, also ich glaube, es liegt daran, dass es jetzt einfach zu viele Russen gibt. Die deutschen Juden fühlen sich in die Ecke gedrängt“, versucht sie eine Antwort. Ludmila Schejnkman schätzt, dass inzwischen 95 Prozent der Gemeindemitglieder in Koblenz aus der ehemaligen Sowjetunion stammen.

Insgesamt, so gibt der Zentralrat der Juden an, liegt die Zahl der Gemeindemitglieder in Deutschland derzeit bei 80.000. Ende der Achtzigerjahre, bevor die Flüchtlinge kamen, waren es knapp 28.000. Nicht alle der über hunderttausend Menschen, die als Juden nach Deutschland einwanderten, werden auch Mitglied der Gemeinde, manche haben kein Interesse, andere werden von den Gemeinden nicht als Juden anerkannt: So gilt in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion der als Jude, bei dem Jude unter Nationalität im Pass eingetragen steht. Die Nationalität kann man entweder vom Vater oder von der Mutter übernehmen. Nach der Halacha, die in Deutschland gilt, ist jedoch nur Jude, dessen Mutter Jüdin ist.

Ludmila Schejnkman kam vor zwei Jahren aus Sankt Petersburg. Mit ihrem Mann, ihren Eltern und 2.000 Büchern. Die stehen jetzt im „Büchersalon Ludmila“. „Lesen ist für uns Juden aus Russland sehr wichtig. Viele hatten große Bibliotheken“, sagt sie. Aber die wenigsten konnten mehr als nur einige Bände mit nach Deutschland nehmen. Im Büchersalon kann man nun den Tolstoi oder Dostojewski ausleihen, den man in Russland zurücklassen musste. „Wir haben alles, sogar Krimis“, sagt die Salonbesitzerin und zieht die Nase kraus: „Die leihen sich die Jidden aus Kasachstan aus.“

In dem kleinen Raum muss man flüstern, denn an dem Klapptisch zwischen den Bücherregalen drängen sich neun Frauen, die bei Olga Pilipowski, einer studierten Germanistin aus Moskau, Deutsch lernen. „In Berlin besuchten wir das Brandenburger Tor, den Fernsehturm und die Humboldt-Universität!“, die Frauen versuchen die Worte nachzusprechen. Versuchen. Die meisten von ihnen sind über sechzig. Da dürfen sie nicht mehr an dem offiziellen Sprachkurs teilnehmen, den das Arbeitsamt für alle organisiert, die als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Andere haben den Kurs schon abgeschlossen und wollen weiterlernen. In den letzten Jahren wurden die Sprachkurse immer weiter gekürzt, und in sechs Monaten lernen die wenigsten so viel Deutsch, dass es für ein Leben in einem neuen Land reicht.

Manche kommen auch, weil es im Büchersalon so nett ist. Irgendwas muss man ja tun.

Eine Studie des Moses Mendelson Zentrums in Potsdam hat ergeben, dass 48 Prozent der jüdischen Einwanderer im erwerbstätigen Alter arbeitslos sind. Rechnet man diejenigen mit ein, die gerade einen Sprachkurs oder eine Umschulung absolvieren, sind es 60 bis 70 Prozent. Die Arbeitslosenquote unter Ausländern allgemein liegt bei 19 Prozent. Dabei haben über 70 Prozent der jüdischen Zuwanderer einen Hochschulabschluss. Der Grund für die hohe Arbeitslosigkeit? Mangelnde Sprachkenntnisse, Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Universitätsabschlüssen, hohe Erwartungshaltung, heißt es bei den Autoren der Studie.

Der Traum vom goldenen Westen. Geplatzt? Der Weg. Umsonst?

Ludmila Schejnkman macht nicht den Eindruck. Sankt Petersburg, nun gut. Sie war Ingenieurin an der Akademie, Mann Micha hatte eine gute Position. Es gab nur immer Probleme, wenn Ludmila Schejnkman allen guten Ratschlägen zum Trotz in die Synagoge gegangen ist. „Es wurde nicht gern gesehen.“ Als dann noch der Sohn zur Armee sollte, direkt an die Front nach Tschetschenien, fanden sie es Zeit zu gehen. Beantragten die Papiere bei der deutschen Botschaft. Erst der Sohn, die Familie kam dann hinterher.

Und aus Ingenieurin Schejnkman wurde Saloninhaberin Ludmila. Nun kümmert sie sich um die Kinder der Zuwanderer: spielt mit ihnen Theater, tanzt und singt auch ab und zu ein jüdisches Lied. Deutsch braucht sie dafür nicht. Dabei müsste sie das lernen, „und zwar schnell“, wie sie sagt. „Ich muss dringend mit dem Oberbürgermeister über meinen Plan sprechen, und ohne diese verflixte Sprache geht das nicht.“

Ihr Plan, das ist ein Kulturzentrum, in dem für alle Platz ist und auch die kommen können, die sonst nicht in die Synagoge gehen. In ihrem Zentrum soll es auch Religionsstunden geben, damit die Neueinwanderer das Judentum kennen lernen, wegen dem sie in der alten Heimat schief angeguckt oder verfolgt wurden. Denn von den jüdischen Bräuchen haben viele der Neuen, da muss sie den Alteingesessenen doch einmal Recht geben, ziemlich wenig Ahnung.

Aber es soll auch Ballettunterricht, Gesangsstunden, Malateliers und natürlich Sprachkurse geben. „Für jeden etwas, dann sehen die Deutschen auch mal, was für eine schöne Kultur wir eigentlich haben“, sagt sie, und außerdem könnte sie dann Arbeitsplätze schaffen: „Das ist doch Integration, oder?“, fragt sie und holpert lustig über das schwierige Wort.

Integration. „Das ist eine große Herausforderung, aber ich würde das alles nicht so pessimistisch sehen“, sagt Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Das brauche eben seine Zeit. „Diejenigen, die in den Siebzigerjahren aus der damaligen Sowjetunion zu uns kamen, sind ja jetzt voll und ganz integriert: in die Gesellschaft und in die Gemeinde“, sagt er. Natürlich müsse man sich weiter bemühen, sowohl der deutsche Staat als auch die jüdische Gemeinschaft. „Die Integration wird auch bei den Wahlen zum Vorsitzenden des Zentralrates der Juden ganz klar das Topthema sein“, sagt er. Charlotte Knobloch, eine der beiden aussichtsreichsten Kandidaten bei der Wahl am Sonntag, kritisierte kürzlich die Regierung Schröder, forderte mehr Hilfe für die Zuwanderer. Die Integration könne nicht allein Aufgabe der jüdischen Gemeinden sein.

Die Neuen finden keinen Job, aber sie versuchen es

„Wir suchen Patentkäufer, Lizenznehmer und Serienhersteller“, steht groß auf einem selbst gebastelten Plakat, das hinter dem Schreibtisch hängt. Da sitzt Arkady Bilopolsky, der Vorsitzende der „Bundesweiten Jüdischen Erfindergesellschaft“. Brauner Nadelstreifen, rotgefleckte Krawatte. Das Büro in einer großen alten Wohnung, in Nähe des Berliner Kurfürstendamms. Er ist 59, Kranbauingenieur aus der Ukraine, seit zwei Jahren in Deutschland. „Wir haben ein unglaubliches Know-how mitgebracht und wollen es der deutschen Gesellschaft zur Verfügung stellen“, sagt er. Gegen Cash, natürlich.

Nur klappt das nicht recht.

Aber Resignation? So ein Wort nimmt einer wie Arkady Bilopolsky nicht in den Mund. „Es ist sehr schwer für uns, hier in Deutschland eine Stelle zu finden“, sagt er stattdessen.

Aber, sie versuchen es. Erfindermessen. Ausstellungen. Mundpropaganda. Leider hat sich bisher noch kein Patentkäufer gefunden, dafür haben sie jetzt schon über dreihundert Mitglieder. Dabei gibt es den Verein erst seit einem halben Jahr. „Wir haben Experten aus allen Branchen“, sagt der Vorsitzende. Manche wollen ihre Patente, die sie bereits in der ehemaligen Sowjetunion angemeldet hatten und jetzt für viel Geld in Deutschland registrieren ließen, vermarkten. Spezielle Industriebohrer. Oder – der Hauptstadt angemessen – gleich vier Apparate zum Entfernen von Hundedreck vom Bürgersteig. Sie hoffen auf die Käufer, und in der Zwischenzeit nehmen sie Praktikanten bei sich auf, halten Vorträge, damit ihr Know-how doch noch zu etwas nütze ist.

Mit der gleichen Geduld, mit der José Weber in Frankfurt am Fortbestand des Judentums arbeitet. Und: Ganz hoffnungslos scheint die Sache mit der Heiratsvermittlung zwischen Russen und Deutschen, zwischen Alten und Neuen, dann doch nicht. José Weber hat schon einige solche Ehen vermittelt, verrät er zum Abschied. Zum Beispiel seine eigene.

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