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Hilferuf aus Oslebshausen

■ Chefin der Justiz-Vollzugsanstalt Oslebshausen beklagt „untragbare Zustände“: Psychisch Kranke werden im Knast weggesperrt, weil die geschlossene Psychiatrie in Ost überbelegt ist

Teilweise hoch brisante, psychisch kranke Gefangene sitzen im Oslebshauser Knast ein – obwohl sie normalerweise anders untergebracht werden müssten. Diese Feststellung traf unlängst nicht etwa eine grüne Gesundheitsexpertin – sondern die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Oslebshausen, Ines Kalisch, vor den Abgeordneten der Parteien im Rechtsausschuss der Bürgerschaft. Dem jetzt vorliegenden Sitzungsprotokoll zufolge fuhr Kalisch fort: „Die Bediensteten müssen sich als Laien mit diesen Gefangenen ständig auseinandersetzen und sie auf Grund ihres Verhaltens auch in die Verwahrung legen, was aus humanitären Gründen nicht zu ertragen“ und für alle ein untragbarer Zustand sei. Es reagierte nur die Sprecherin der Justizbehörde, Lisa Lutzebäck – mit dem Hinweis auf die bevorstehende Eröffnung einer neuen Station in der gerichtlichen Psychiatrie (Forensik). Sie hoffe, dass die Situation sich dann bessere.

Tatsächlich soll Ende März der Neubau für die Forensik im ZKH Ost eröffnet werden. Statt der bislang vorhandenen 48 Plätze wird es dann 64 geben – für solche Straftäter, die nach Gerichts- und Gutachtermeinung nicht in den Knast, sondern in die geschlossene Psychiatrie gehören, weil sie zwar gefährlich, aber krank und schuldunfähig sind.

Allerdings ist die geschlossene Abteilung schon heute mit sechs Personen überbelegt. 54 Männer, die getötet, vergewaltigt oder brandgestiftet haben, leben hier. Das „verwahrende und sichernde Denken“ habe zugenommen, nennt der Leiter der Forensik, Prof. Dr. Gerd Titgemeyer einen Grund für die volle Belegung. Gesetze seien verschärft worden. Nachdem bundesweit mehrere Fälle von Wiederholungstaten bekannt wurden, war die Entlassung beispielsweise von Sexualstraftätern erschwert worden. „Ein Rückfall muss quasi ausgeschlossen sein“, sagt Titgemeyer. Doch diese Prognose fällt Gutachtern schwer. Die Folge: Patienten bleiben länger. Entspannung erwartet Titgemeyer in der Forensik deshalb kaum. Auch er hat unterdessen „teilweise untragbare Situationen“ registriert.

Im Bundesvergleich schneide Bremen zwar nicht schlecht ab, sagt Titgemeyer. Aber auch ihm ist bekannt, dass gerade wieder ein verurteilter Psychiatrie-Fall statt auf Station im Knast gelandet ist. Obwohl er dort nicht hingehört. Bremer Anwälte bestätigen, dass das häufiger geschieht – über mehrere Wochen, bis auf der Station Platz ist. Sie wissen jedoch auch, was passiert, wenn sie oder die Mediziner der JVA eingreifen. Im vergangenen Jahr beispielsweise landete ein akut kranker Insasse zwar in der geschlossenen Forensik – allerdings auf dem Flur. Alle Betten waren belegt; dabei gelten die Bedingungen in der Forensik ohnehin als hart.

Rund fünf Mal gerieten Insassen zudem in solche Krisen, dass niemand in der JVA sie noch in die blanke Verwahrungszelle sperren wollte. Schließlich landeten sie – die Forensik war ja voll – auf der „Akutstation“ in Ost, mit Wachen vor der Tür. Auch das sei „untragbar“ – für die Mitpatienten, so Titgemeyer. Und teuer für die JVA, so Beobachter.

Innerhalb der JVA denkt man deshalb schon länger über einen Ausbau der eigenen Krankenstation nach, zumal Ärzte des ZKH Ost schon jetzt zur ambulanten Versorgung kommen. „Rund die Hälfte der Insassen hat psychische Probleme“, sagt Titgemeyer. Von ihm stammt die Idee, die Krisenintervention im Knast zu verbessern. In der JVA versprach man sich davon neben angemessenerer Betreuung der Kranken, die jetzt oft weggeschlossen werden, auch Spareffekte. Immerhin kostet das Bett in der Forensik 500 Mark am Tag. ede

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