piwik no script img

Der Ruf des Lachshörnchens

■ Auch Synergieeffekte kann man essen: Zoë Jenny stellt ihren neuen Roman bei einem Frühstück im Theater des Westens vor

Ein Croissant. Ein Blaubeermuffin. Ein Lachshörnchen mit einem Tupfer Meerrettichsahne. Ein Schinkenhörnchen mit Salatblatt und einem Spritzer Currysauce. Butter, Aprikosenkonfitüre, und ein Fruchtcocktail aus Melone- und Mangoschnitzern. Und ein Becher Kaffee.

So sieht ein literarisches Frühstück aus. Am Sonntagmorgen steht es im Theater des Westens auf einem Tisch im Foyer. Darüber freut sich zunächst einmal ganz besonders Elmar Ottenthal, der seit einem halben Jahr das Theater leitet. Er ist ein moderner Mensch und ein großer Freund so genannter Synergieeffekte. Also hat er sein Haus, das ja eigentlich eine Musicalbühne ist, für eine neue Veranstaltungsreihe geöffnet. Sie nennt sich „Das literarische Frühstück“ und wird von Zoë Jenny eröffnet. Eine „doppelte Premiere“, sagt Elmar Ottenthal, denn Zoë Jenny stellt ihren neuen Roman vor: „Der Ruf des Muschelhorns“.

Zum Synergieeffekt gehört es, dass drei Musiker des hauseigenen Orchesters klassische Frühstücksmusik spielen, dass Sat.1, Radio „Hundert, 6“ und die Literaturagentur Eggers und Landwehr Mitveranstalter sind – und dass eben Literatur und Frühstück an einem Tisch sitzen. Elmar Ottenthal sagt: „Ich wünschen Ihnen weiterhin guten Appetit.“

Man hat eine Viertelstunde Zeit um aufzuessen. Zeit genug um nachzurechnen, dass ein Frühstück fünfundzwanzig Mark mehr wert ist als ein Vorlesen. Ein „Literarisches Frühstück mit Frühstück“ kostet nämlich fünfunddreißig Mark, ein „Literarisches Frühstück ohne Frühstück“ – dasitzen, zuhören, sonst nichts – nur zehn Mark. Früher hätte man das „Eventkultur“ genannt und sich darüber aufgeregt. Heute ist das voll in Ordnung. Ein Buch kann man schließlich nicht essen.

Joachim Unseld ist Zoë Jennys Verleger. Er ist ein moderner Mensch, keine Frage. Darum darf er zum Beispiel nicht den Suhrkamp-Verlag seines Vaters leiten, sondern musste für sich ganz alleine die Frankfurter Verlagsanstalt gründen. Joachim Unseld ist allerdings nicht ganz so modern wie Elmar Ottenthal und besteht deshalb darauf, die fünfundzwanzig Mark Preisdifferenz zwischen Frühstück und Literatur durch eine engagierte Einleitung ausgleichen.

Joachim Unseld vergleicht Zoë Jenny, die in einem engen schwarzen Pullover neben ihm sitzt, mit Franz Kafka, Gustave Flaubert und Peter Weiss, und hält der 26-Jährigen eine anständige Nobelpreisträger-Laudatio. Er entdeckt in ihrem jetzt zweibändigen Werk ein „ureigenes Thema“ – nämlich „die Unbehaustheit des Menschen“ – und vergisst auch nicht zu erwähnen, dass Zoë Jennys Debüt „Das Blütenstaubzimmer“ bisher in neun Auflagen erschien und in 22 Sprachen übersetzt wurde. Joachim Unseld ist ein glücklicher Verleger. Sein Ton wird immer weihevoller, und bevor er das Mikrofon an Zoë Jenny übergibt, hat er„nur noch eine Bitte . . .“ – der Verleger macht eine kunstvolle Pause, lässt seinen Blick durch das Foyer schweifen – „. . . dass während der Lesung von Zoë Jenny möglichst wenig mit Geschirr geklappert wird“.

„Das Blütenstaubzimmer“, mit dem Zoë Jenny das so genannte Fräuleinwunder in der deutschen Literatur auslöste, war ein trauriges Buch. „Der Ruf des Muschelhorns“ ist, was soll man sagen, noch trauriger. Es erzählt von einem einsamen Mädchen und einer kalten, kalten Welt, in der es keine Sprache gibt und nur eine einzige Hoffnung: Schweigen.

Zu Hause würde einen dieser Roman unglücklich machen, im Theater des Westens ist er halt Teil eines Frühstücks. Das ist sehr angenehm. Zoë Jenny liest ernsthaft und konzentriert, man selbst bemüht sich, möglichst wenig mit dem Geschirr zu klappern. Jeder tut, was er kann, jeder macht mit beim Synergieeffekt. Das macht satt, das wärmt das Herz.

Kolja Mensing

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen