: Zu viel Understatement
■ Nazinutte kuschelt mit Amihure – oder: Wie Jasper Brandis die Hamburger Uraufführung von Thea Dorns „Marleni“ verschenkte
„Was macht eigentlich . . . Leni Riefenstahl?“, fragte die Illustrierte Stern auf ihrer stets pfiffigen Interviewseite „Nachfrage“ in ihrer Nummer 49/99. Gute Frage. Sie dreht einen Film über die Riffe der sieben Weltmeere, lautete die Antwort, und liegt darüber hinaus mit einer schlimmen Bronchitis im Bett. Nicht schon wieder diese knallbunt-kitschigen, langweiligen Unterwasseraufnahmen, sagt da der eine. Dass die immer noch lebt, schüttelt ein anderer den Kopf. Aber nicht mehr lange, mag ein Dritter gehässig hinzufügen und hat damit natürlich Recht, denn Menschen im Alter von 97 Jahren sterben ja allein schon aus statistischen Gründen recht bald. Rührt es etwa daher, dass sich in den letzten Wochen gleich mehrere Produzenten um die Filmrechte an den Memoiren von Adolf Hitlers Lieblingsregisseurin bewarben? Erst hieß es ja, Jodie Foster wolle unbedingt die Hauptrolle spielen, aber dann ging die Riefenstahl auf Nummer sicher: In Deutschland lassen sich die Persönlichkeitsrechte besser schätzen, und jetzt entsteht der Film hier.
Bereits 1998 hatte die bis dato lediglich als Krimiautorin in Erscheinung getretene Thea Dorn die umstrittene Figur ins Visier genommen – für ein Theaterstück. Als Widerpart ist sie auf den zweiten blonden deutschen Filmmythos der Nazizeit verfallen: Marlene Dietrich (die im März, von Joseph Vilsmaier inszenieniert, in die Kinos kommt). Und da die 29-jährige Wahlberliner Philosophiedozentin Wortspiele mag – ihre Künstlername ist eine Variation von Theodor W. Adorno –, hat sie ihr Dramendebüt „Marleni“ genannt und, um die Spannung zu erhöhen (und den Marktwert in die Höhe zu treiben?), erst mal als Hörspiel (mit Gisela Uhlen und Gisela May) produzieren lassen.
„Marleni“ ist ein saukomisches schmales Stück mit einem irrwitzigen Plot: In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1992 dringt die alte Bergsteigerin Riefenstahl über den Balkon in das Pariser (Ster- be-)Zimmer der Dietrich ein. Sie muss Marlene davon überzeugen, in ihrer Verfilmung von „Penthesilea“ die Titelrolle zu übernehmen – das ist die Bedingung des Produzenten zur Finanzierung des Projekts, das Riefenstahls letztes und größtes werden soll. Das erweist sich als vergleichsweise schwierig, denn die Dietrich ist auch nicht mehr die Jüngste und als laszives Wesen alles andere als die Idealbesetzung für eine spröde, brustamputierte Amazonenkönigin, von den Welten, die ideologisch zwischen der „Amihure“ und der „Nazinutte“ liegen, ganz zu schweigen. Nach einer Prügelei, polemischen Diskussionen über ihre Rollen im Dritten Reich und katastrophalen Probeaufnahmen kommen sich die „Preußischen Diven blond wie Stahl“ (so der Untertitel) beim Alkohol schließlich gar kuschelig nah, aber nur eine überlebt diese turbulente Nacht.
Am Sonnabend war nun endlich Uraufführung. Im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Oder besser: darunter. Denn in der Jubiläumsspielzeit – und zugleich des Intendanten Frank Baumbauers letzter – mit ihren etlichen Uraufführungen und verschwenderisch aufwendigen Produktionen leistet man sich offenbar gern den Luxus, ein publikums- und medientechnisch viel versprechendes Ereignis in der engen holzbestuhlten Kantine zu platzieren. Zu so viel Understatement passt vortrefflich die Wahl des Regisseurs: Jasper Brandis hat sich am Hause drei Jahre lang als Regieassistentin bewährt, während er noch seine Staatsexamen in Jura hinter sich brachte. „Marleni“ ist jetzt seine erste Inszenierung. Und richtig schief gehen konnte das sowieso nicht, weil sich mit zwei so begnadeten und routinierten Schauspielerinnen wie Marlen Diekhoff (Leni) und Ilse Ritter (Marlene) das Stück fast von selbst inszeniert.
Aber eben leider nur fast. Denn obwohl „Marleni“ sorgfältig recherchiert und eigentlich ein ganz konventionelles well made play ist, schreit die Geschichte nach einer möglichst grotesken Umsetzung. Doch die allein will Brandis nicht. Er probt den Spagat, und seine Inszenierung verliert prompt an Stringenz. Wann immer er mit ruhigen Momenten eine Vielschichtigkeit des Textes aufdecken will, die dieser nun wirklich nicht hergibt, wird es langweilig. Durch dergestalt unmotivierte Tempoverschleppungen bringt sich der Regisseur um mindestens die Hälfte der Pointen – als wolle er nur teilweise einsehen, dass „Marleni“ vom Bautyp her lediglich eine Boulevardkomödie ist, wenngleich eine sehr klug ersonnene. Solche Halbherzigkeit spiegelt sich etwa auch darin, dass der Scotch hier ganz absurd – ein Einfall! – aus Shampoo-Fläschchen der Marke Guhl rinnt, das waghalsig alberne Hantieren mit Marlenes Pisspott jedoch wohl nicht einzig aus kosmetischen Gründen gestrichen wurde. So wirkt am Ende alles ein bisschen sehr verschenkt. Das ist schade für die beiden großartigen Schauspielerinnen, deren komisches Potenzial längst nicht ausgeschöpft wird. Das ist schade für die Autorin, der man eine adäquatere Uraufführung gewünscht hätte. Und das ist freilich schade fürs Publikum, das weitaus besser hätte unterhalten werden können. Thea Dorn meint, der Tonfall in „Marleni“ müsse wie der von „Golden Girls“ sein. Im Stadttheater Hildesheim, wo das Stück im April als Erstes nachgespielt wird, sollte die Regie über Gelächter aus dem Off nachdenken.
Ralf Poerschke
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