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Ein Bovist namens Heide

Wählerinitiative „Künstler für Heide Simonis“ eröffnet SPD-Wahlkampf  ■ Von Peter Ahrens

Der Flaschenbovist ist ein wohlschmeckender Pilz, der allerdings schnell ins Bräunliche schwappt und matschig wird. Am Tag der Bundestagswahl ist Günter Grass in die Pilze gegangen und hat über 50 Flaschenboviste gefunden: er nahm das – so erzählt jedenfalls seine Geschichte aus „Mein Jahrhundert“ – als gutes Omen für die Prozentzahlen von Rot-Grün. Jetzt tingelt der Schriftsteller wieder für den Flaschenbovist über Land. Der heißt diesmal Heide Simonis – die Initiative „Win 2000: Künstler für Heide Simonis“ eröffnete am Dienstag Abend in Reinbek den Wahlkampf für und mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin.

Es sind die alten sozialdemokratischen Schlachtrösser unter denen, die man Intellektuelle nennt, die wieder und noch einmal für die SPD in den Wahlkampf ziehen. Klaus Staeck, der ewige Grafiker, Ralph Giordano, Peter Rühmkorf, Walter Jens natürlich, Dieter Hildebrandt, Will Quadflieg und eben Grass. „Ich bin für Rot-grün“, sagt der Nobelpreisträger, basta, Widerspruch zwecklos, aber an diesem Abend vor dem liberalen Vorstadt-Publikum – schwarzer Rollkragen unter grauem Jacket, braune Stoffhose, gelbe Socken – ohnehin nicht zu erwarten. Es herrscht Harmonie. Sanfte Gitarrenklänge erfüllen den Raum, ein Nobelpreisträger und eine Ministerpräsidentin sitzen auf dem Sofa auf der Bühne, Beistelltischchen mit Rotweinkaraffe daneben, die Pfeife schmaucht – sozialdemokratische Gemütlichkeit breitet sich im Saal aus.

Grass mischt sich ein, wie eh und je. „Ich mag es einfach, Leute anzustiften, und bin eben ein neugieriger Mensch“, sagt er. Neugierig zum Beispiel darauf, „was aus all den ehemaligen Jusos geworden ist, die damals weit links von mir standen, und heute Bundeskanzler oder so sind“. Die erinnere er ab und an ganz gern daran, „was sie früher gesagt haben“. Ansonsten plädiert er für die Gesamtschule, für die Rente ab 60 für Lehrer, für Solarenergie: „Ihr habt hier doch keinen Daimler oder so etwas. Macht das Land doch zum Zentrum für Sonnen- und Windkraft.“ Der Schriftsteller ärgert sich darüber, dass „ausgerechnet diese FDP jetzt Nutznießer der CDU-Affäre sein soll“ und die Grünen vielleicht aus dem Kieler Landtag fliegen. SPD und Grüne hätten doch eine „gute, streitbare Zusammenarbeit“ in Kiel gehabt: „Meine Damen und Herren, ich bitte, das bei Ihrem Wählervotum zu berücksichtigen.“

Über die FDP ärgert sich Heide Simonis auch. Auch darüber, dass die Pünktchenpartei mit einer rotbehüteten Bulldogge plakatiert, die die Regierungschefin darstellen soll. „Ein solcher Wahlkampf macht keinen Spaß“, klagt sie, und – was an diesem Abend besonders zählt: „Das ist nicht intellektuell.“

Ansonsten wehrt sich die Minis-terpäsidentin nur halbherzig gegen Grass' Versuche, den grünen Koalitionspartner anzupreisen: „Rot allein wäre auch nicht schlecht, aber von mir aus auch Rot-Grün.“ Alle sind sich einig, bereitwillig stecken die BesucherInnen ihre Zehnmarkscheine in das sozialdemokratische Sparschwein, um den Wahlkämpfern finanziell zu helfen. Das Sparschwein ist niedlich angemalt, damit auch niemand an Parteispenden und Koffer denkt. Kunst wird für den guten Zweck (SPD-Wahlsieg) auch noch versteigert, Günter Grass signiert seine Bücher, und die CDU liegt derweil am Boden. Die Ministerpräsidentin kann sich an diesem Abend entspannt auf dem Sofa zurücklehnen und ihren Blick wohlgefällig auf der Versammlung ruhen lassen: Alles geht seinen Gang.

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