■ Auch in der ausländischen Presse wird der Niedergang der CDU mit Spannung verfolgt. Unsere Korespondenten in Rom, Washington und Warschau haben Stimmen eingefangen. Mehr noch als Empörung über Helmut Kohl herrscht Erleichterung: Die Bundesrepublik hat jetzt auch bei den Skandalen internationalen Standard erreicht: Verwundert, empört, schadenfroh
Langsam weicht die lange Zeit vorherrschende Sprachlosigkeit einem geradezu homerischen Gelächter. „Vorbild Deutschland“ betitelt Liberazione sarkastisch seine Mittwochsausgabe, und nicht weniger lapidar teilt il manifesto über die ganze erste Seite mit: „Der Zusammenbruch“.
Straßenumfragen zeigen nicht nur den senkrechten Absturz der deutschen Christdemokraten im Ansehen beim südlichen Nachbarn Italien, sondern auch eine massive Beschädigung des Ansehens der Deutschen insgesamt. „Sie sollen endlich aufhören, sich noch irgendjemandem als die Nation der Korrekten, Sauberen zu präsentieren“, schimpfte ein Hörer von „Radio 24“, und selbst die eher staatstragende „Radiotelevisione Italiana“ RAI musste am Ende „die Frage aufwerfen, warum denn dieses System offenbar jahrzehntelang nicht nur funktioniert hat, sondern von niemandem denunziert wurde“.
Unsicher ist sich die italienische Öffentlichkeit, wie man das germanische Desaster denn bezeichnen soll: „CDU-gate“, nach dem Nixon-Skandal von 1974 in den USA, oder lieber „Tangentokohli“, nach dem Schlagwort „Tangentopoli“, Schmiergeldrepublik, mit dem sie ihre eigenen Skandale benannt hatten.
Dabei sind die Meinungen über Kohl aber durchaus geteilt: Dass man ihn nun so einfach ins Abseits schiebt, ist für viele Zeitungen, so etwa la Repubblica „doch vielleicht ein wenig ungerecht“. Auch Kohls Rückzug hinters Ehrenwort scheint so manchem eher heroisch: „Ich wollte“, fuhr ein Hörer von „Radio 24“ den taz-Korrespondenten an, „wir in Italien hätten solche Männer, auf deren Wort man sich noch verlassen kann.“ Und Kohls Verfassungsschwur? Auf diesen Einwand knurrte der Hörer einer anderen Sendung: „Scheiß doch die Verfassung an.“ Kohl wird’s freuen.
Werner Raith, Rom
Kohls Nachruf stand schon am Sonntag – also noch vor seinem Rücktritt – in der New York Times. Roger Cohen nennt die Affäre um den Altbundeskanzler den ersten Skandal des neuen, des normalen Deutschland. Kohls Demontage sei gleich ein dreifaches Aufräumen mit Deutschlands jüngster Vergangenheit: „der Sturz eines Halbgottes, die Grablegung des Ancien Régime und die Umorientierung deutscher Politik“. Die Ära Kohl sei nicht eigentlich mit Kohls Abgang 1998, sondern mit dem Beginn des Jahres 2000 zu Ende gegangen. In einem neuen Zeitalter würden Transparenz und politische Rechenschaft wichtige Themen der Politik werden.
Über die Affäre Kohl berichten amerikanische Medien seit ihrem Beginn im November letzten Jahres – sie war neben der Entschädigung der Zwangs- und Sklavenarbeiter das wichtigste Thema der Deutschlandberichterstattung. In einer Fernsehdebatte wurde der Vergleich zu Nixon und Watergate gezogen, der in gleicher Weise die politische Atmosphäre in Deutschland reinigen könnte. Den Rücktritt selbst berichten New York Times und Washington Post am 19. 1. auf der ersten Seite, und der Tenor der Berichterstattung tischt wohlbekannte amerikanische Kritik an Deutschland auf: „Unter dem Eindruck des Durcheinanders (in der CDU) ist Deutschlands eng verwobenes Machtkartell im Begriff aufzudröseln – das bequeme Arrangement zwischen Banken, Industrie und politischen Parteien“, schreibt Roger Cohen am Mittwoch in der New York Times – ein alter Vorwurf an Deutschland, dessen Politik eher Ausdruck von Absprachen innerhalb der Machtelite denn Ergebnis von offenem politischem Wettbewerb sei.
Die Washington Post sieht gar Deutschlands Stabilität bedroht, deren Garant Kohl und die CDU gewesen sind. William Drozdiak beruft sich auf Thomas Kielinger, einen konservativen Kommentator der Welt, der in Kohls 25-jähriger autoritärer Herrschaft über die CDU rückblickend eine Gefahr für die deutsche Demokratie sieht. Das Wall Street Journal stellt Kohls Rücktritt in einen größeren Zusammenhang: „Was wir hier sehen, ist die Erschöpfung einer politischen Partei, deren Problem das aller Mitte-Links-Parteien ist, die zu lange regiert haben – sei’s in Europa oder Nordamerika. Man gebe einer Partei mehr als 10 Jahre im Amt – wie der CDU in Deutschland, den Tories in England oder den Konservativen in Kanada – und sie droht einer Kombination aus Korruption und Selbstgefälligkeit zum Opfer zu fallen. Die Probleme solcher Parteien sind ganz grundsätzlicher und ideologischer Natur. Was diese Parteien brauchen sind neue Ideen“. Kohl wird Deutschlands politische Stabilität zugute gehalten und gleichzeitig die wirtschaftliche Lage angelastet. Deutschlands hohe Arbeitslosigkeit ist für den Wall Street Journal auf die Mißachtung neoliberalen Gedankenguts zurückzuführen. Kohls verhängnisvollstes Erbe aber sei, dass er das Denken in der CDU unterbunden habe. Dem Wall Street Journal bleibt es vorbehalten, die Verbindung zu den inneramerikanischen Auseinandersetzungen um Wahl- und Parteispenden zu ziehen. Tenor: So schlecht könne das zur Zeit heftig debattierte amerikanische System nicht sein, wenn selbst das gepriesene europäische Verfahren staatlich bezahlter Wahlkämpfe derartigen Missbrauch zulasse. Manch amerikanischer Mandatsträger aber wird bei Beträgen von einer Million nur mit den Achseln gezuckt haben. George W. Bush, Bewerber um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, hat allein für den Vorwahlkampf nach letzten Angaben 63 Mio. Dollar gesammelt – von wem er das Geld hat, lässt sich im Internet nachlesen.
Peter Tautfest, Washington
Nach dem „Kohlgate“ nun der „Vatermord“. Die Polen können es nicht fassen. Was ist in Deutschland los? In allen Medien werden die Verdienste Kohls um die Einigung Europas gepriesen, der Übervater der europäischen Einigung beschworen, die CDU als große demokratische Volkspartei gefeiert. Und dann kommt der fast schon verzweifelte Aufschrei: „Wie konnte er nur?“
Die Polen sind entsetzt, ratlos und enttäuscht. Sie hatten lange gebraucht, um sich mit den Christdemokraten zu arrangieren und das tief sitzende Misstrauen gegen Kohl zu überwinden. Erst die Umarmung Kohls mit dem ersten nicht kommunistischen Ministerpräsidenten Polens, Tadeusz Mazowiecki, hatte den Bann gebrochen. Mit dem Spendenskandal der CDU bricht für die meisten Polen das Vertrauen in die westliche Solidität zusammen. Korruptionsskandale verbinden Polen meist mit Russland, der Ukraine und dem eigenen Land. Deutschland hingegen galt als fast schon unerreichbares Vorbild demokratischer Tugenden. Jetzt aber, so beschreibt es der Kommentator der konservativen Zeitung Zycie, „verlischt vor unseren Augen eine Legende“. Kohl, der seine politische Karriere in der „Aura der Größe“ beendet habe, entpuppe sich als ein Gauner, der Geld für die eigenen Partei auf die Seite geschafft habe. Die linke Tageszeitung Trybuna mutmaßt inzwischen gar, dass Kohl mit seinem beharrlichen Schweigen über die Herkunft der Spendengelder eine Affäre vertuschen will, in der „das Geld verstorbener Juden“ eine Rolle spiele. Deshalb habe sich die CDU auch schon offiziell bei den „jüdischen Mitbürgen“ in Deutschland entschuldigt. Der „Vatermord“ der CDU an ihrem Vorsitzenden, so schreibt die liberale Gazeta Wyborcza, weise darauf hin, dass die Partei Kohl als Sündenbock opfern wolle, um weitere Funktionäre zu schützen.
Gabriele Lesser, Warschau
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