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Wer fliegt noch mal, wer hat noch nicht?

■ Flugaffäre weitet sich aus. Vier von sieben Senatoren haben Freiflüge auf Firmenkosten eingeräumt. Peter Kurth, Klaus Böger, Wolfgang Branoner und Peter Strieder sind mit den Firmen Dussmann, Alba und Herlitz nach Osteuropa geflogen. Grüne fordern Aufklärung

Dienstreisen auf Firmenkosten waren im Berliner Senat offenbar gängige Praxis. Gestern räumte auch Finanzsenator Peter Kurth (CDU) ein, er habe 1995 als Staatssekretär mit den Firmen Alba und Herlitz Reisen nach Polen und Russland unternommen. Zuvor war bekannt geworden, dass der damalige Staatssekretär und heutige Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner 1997 auf Kosten der Recyclingfirma Alba nach Polen geflogen war. Schulsenator Klaus Böger, damals SPD-Fraktionschef, war 1998 ebenfalls mit dem Unternehmen nach Polen gereist. Die Affäre war ins Rollen gekommen, nachdem die taz über einen Flug des Stadtentwicklungssenators Peter Strieder (SPD) im Firmenjet des Unternehmers Peter Dussmann berichtet hatte.

Neben Kultursenatorin Christa Thoben (CDU), die erst vor wenigen Wochen in die Berliner Politik kam, zahlten von insgesamt sieben Senatoren offenbar nur zwei ihre Reisen immer selbst: Innensenator Eckart Werthebach (CDU) ist nach den Worten seiner Sprechern „als Senator nicht mit privaten Firmenjets geflogen“, und Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) ließ mitteilen, sie sei „definitiv“ nicht auf Firmenkosten gereist.

Auf der gestrigen Senatssitzung sprach der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) nach Angaben von Senatssprecher Eduard Heußen die Empfehlung aus, dass sich die Senatsmitglieder in der Regel an den Kosten solcher Reisen beteiligen sollten. In begründeten Einzelfällen seien aber auch andere Lösungen möglich. Eine weitere Präzisierung sei nicht vorgesehen. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Senatsmitglieder noch Gesprächsbedarf hatten“, sagte Heußen.

Der Präsident des Landesrechnungshofs, Horst Grysczyk, hatte zuvor eine einheitliche Linie des Senats angemahnt. „Wenn so etwas häufiger passiert, sollte es im Senat abgesprochen werden“, sagte Grysczyk in einem Radio-Interview. Er sehe jedoch keinen Anlass zu einer speziellen Prüfung. Er fügte allerdings hinzu, dass auf diese „Art und Weise der Haushalt nicht saniert werden kann“.

Finanzsenator Kurth, der über seine beiden Reisen im Stil eines öffentlichen Geständnisses berichtete, verteidigte die Reisen auf Firmenkosten. „An dieser Praxis von Senatsmitgliedern hat niemand etwas Anrüchiges gefunden“, sagte er. Bei den Reisen sei es darum gegangen, das Engagement von Berliner Firmen in Osteuropa zu fördern. Dürften Politiker derartige Einladungen nicht mehr annehmen, dann sei es „fraglich, ob es diese Unterstützung noch geben wird“. Die Reiskostenetats der Verwaltungen ließen dafür keinen Spielraum.

Die einladenden Firmen schwiegen sich gestern über mögliche weitere Flüge aus. „Ich habe dazu nichts in meinen Unterlagen“, sagte eine Alba-Sprecherin. Auch bei Herlitz hieß es, man müsse zunächst das Firmenarchiv konsultieren.

Die Grünen wollen die Flugaffäre in der morgigen Parlamentssitzung zur Sprache bringen. Der stellvertrende Fraktionsvorsitzende Burkard Müller-Schönau forderte vom Senat „Klarheit und Transparenz“. Die Landesregierung müsse „offen legen, wer wann, mit wem, warum und wohin geflogen ist“. Mit ihren Flügen seien die betroffenen Politiker „mitten im Nebel gelandet“. Die Politik dürfe nicht „in den Geruch kommen, einseitig von Wirtschaftsinteressen beeinflusst“ zu werden. „Kleine Geschenke gefährden die Unabhängigkeit der Politik“, urteilte Müller-Schönau.

Ralph Bollmann

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