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Standortfaktor Rote Flora

Den multinationalen Konzernen nicht hilflos ausgeliefert: Die Chicagoer Stadtsoziologin Saskia Sassen empfiehlt Hamburg ein realistisches Selbstbewusstsein  ■ Von Gernot Knödler

Die Rote Flora kann entscheidend dafür sein, dass Hamburg bei der Globalisierung nicht abgehängt wird – nicht die Flora an sich, aber das, wofür sie steht: wenig regulierte Bereiche der Stadt mit aufgelassenen Fabriken, billigen Altbauwohnungen und einer bunten Mischung von BewohnerInnen aus allen Teilen der Welt. Solche Viertel sind der Ort für das, was die amerikanische Stadtsoziologin Saskia Sassen „die amporphe anarchische Welt des Talents“ nennt – und damit eine Petrischale für die neuen Industrien: Computer-Programme, deren Inhalt und Verbreitung, das Internet. Das ist zumindest die Meinung der Chicagoer Professorin, die Senat, Universität und Zeit-Stiftung am Donnerstag abend zur zweiten „Hamburg Lecture“ eingeladen hatten, um der Hansestadt den Weg des Überlebens in der weltweiten Konkurrenz zu weisen.

Sassen tourt seit Jahren mit dem von ihr entwickelten Konzept der „global cities“ (Weltstädte) durch die Lande. Sie geht davon aus, dass auch die moderne Weltwirtschaft Orte braucht, von denen aus sie gesteuert wird. Die Wall Street exis-tiert physisch. Dort sitzen die hochspezialisierten Juristen, Banker und Software-Entwickler, die es überhaupt erst möglich machen, dass täglich gigantische Mengen Kapitals um den Globus gejagt werden können, dass neue Produkte entstehen und mit ihnen weltweit Geld gemacht wird.

Dort arbeiten auch Heerscharen von Putzfrauen, Hausmeistern und Buletten-Bratern, ohne die die Arbeit der Spezialisten nicht möglich wäre. Der erste Arbeitsminister Clintons, Robert Reich, identifizierte die einen als „Symbol-Analytiker“ (Problem-Löser und Strategen), die anderen als Leute, die persönliche Dienstleistungen verrichten.

Beide Gruppen treibt die Globalisierung in die Metropolen. Beide lösen sich zunehmend aus dem Nationalstaat. Die einen, weil sie aus der ganzen Welt zusammenkommen, um mit vereintem Talent den globalen Kapitalismus zu beschleunigen. Die anderen, weil sie die Not aus aller Herren Länder an die Orte treibt, wo viel niedrig qualifizierte Arbeit gefragt ist. Doch während die einen im Stil des mittelalterlichen Adels exorbitante Reichtümer aufhäufen, müssen die anderen froh sein, als „working poor“ – „arbeitende Arme“ gelten zu können.

Entscheidend ist: Die weltenlenkenden Symbol-Analytiker sind offenbar auf Großstäde angewiesen. Sie brauchen Leute, die ihnen die Hemden bügeln; sie arbeiten gerne so nah beieinander, dass sie mal eben beim Mittagessen ein Geschäft absprechen oder die Idee zu einem neuen Produkt entwickeln können; und sie sind auf die kulturellen Ressourcen der Städte angewiesen: Weil die Symbol-Analytiker von ihrer knapp bemessen Freitzeit maximal profitieren wollen und weil sie die Ideen der Rapper, Maler und durchgeknallten ProgrammiererInnen brauchen, um an der Spitze des Fortschritts zu marschieren.

Saskia Sassen behauptet deshalb, „dass die Stadtoberhäupter viel mehr Verhandlungsmacht haben als die Vorstellung vom hypermobilen Kapital vermuten lässt“. Die Stadt Boston habe es zum Beispiel geschafft, Investoren dazu zu verpflichten, Sozialwohnungen zu subventionieren, die nichts mit ihren Projekten zu tun hatten.

Um jedoch erfolgreich verhandeln zu können, müsse eine Stadt ein realistisches Selbstbewusstsein entwickeln und hierfür müsse sie sich selbst kennen: Sinnlos, auf Feldern zu konkurrieren, wo andere Städte ebenfalls stark sind. Hamburg müsse mit Pfunden wuchern, die es nur hier gibt und nirgendwo sonst: Werden die spezialisierten Dienstleistungen für den Hafen in Hamburg erbracht? Wie stark ist der Multimedia-Sektor in Hamburg? Könnte das gleichzeitige Vorhandensein kleiner Internet-Firmen und etablierter Unternehmen wie AOL, deren Deutschland-Zentrale unlängst ins Millerntor-Hochhaus eingezogen ist, Hamburg besonders attraktiv machen? Ein schönes Forschungsprogramm, das herauszufinden.

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