Gute Möbel für Bombenopfer: Raubgut für alle
■ Die deutsche Mehrheitsbevölkerung bediente sich am jüdischen Hausrat
Fünfzig Jahre ist es her, und immer wieder treten erstaunliche Lücken im kollektiven Gedächtnis zutage. Nach einem offiziellen „Gesamtleistungsbericht“ aus der NS-Zeit sind im Bezirk Weser-Ems, also vor allem in Bremen, 5.988 Eisenbahnwaggons aus den westeuropäischen Ländern angekommen, vollgestopft mit geraubtem Hausrat von Juden. Die Nazis verteilten diesen Hausrat an „Bobenopfer“. In Bremen fehlt bisher in den Arbeiten über die NS-Zeit jeder Hinweis auf diese „M-Aktion“. Bisher wurden auch im Staatsarchiv keine Unterlagen dazu gefunden, erklärte dessen Leiter, Hartmut Müller.
Die Bremer wurden offenbar besonders begünstigt von dem geraubten jüdischen Hausrat. Im dreimal größeren Hamburg kamen nach dem „Gesamtleistungsbericht“ der Nazis „nur“ 2.699 Waggons an, davon haben sich nach den Berechnungen der Historiker ca. 100.000 Familien bedienen können. Das war praktisch jede zweite Familie. Aus einer autobiografischen Aufzeichnung geht hervor, wie die Verteilung an der Heimatfront damals wirkte: „Wir hatten doch keine Versorgungsnöte. (...) Die einfachen Hausfrauen trugen plötzlich Pelzmäntel, handelten mit Kaffee und Schmuck, hatten alte Möbel und Teppiche aus dem Hafen, aus Holland, aus Frankreich ... Es war das geraubte Gut holländischer Juden, die – wie ich erst nach dem Krieg erfahren sollte – schon in die Gaskammern abtransportiert waren.“ Auch in Bremen wurde „Bombenopfern“ angeboten, sich aus Möbelbeständen neu zu bedienen. Obwohl in einer Reihe von Haushalten noch wertvolle Stücke aus diesen Beständen stehen müssen, scheint nach 1945 niemand seine „Erinnerungen“ daran aufgeschrieben zu haben. K.W.
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