: Dialektik der Aufregung
■ Gerecht, intensiv, aber auch ein bisschen hohl: In der Alsterdorfer Sporthalle demonstrierten „Rage Against The Machine“ die Tragik des guten Gewissens
1992 hätte es wohl niemand prophezeit: Bei all dem Hype um das jugendlich-rauhe Genre Crossover sollten Rage Against The Machine dessen vielleicht wichtigste Vertreter werden. Wenn sich bei der multi-racial zusammengesetzten Band auch anfangs ein wenig der Eindruck aufdrängte, sie sei von der Industrie gecastet worden, war es an ihnen, tatsächlich noch einmal „Rebellion“ in den Charts zu plazieren – und zwar nicht im Sinne der schlecht gelaunt dumpfen Hooliganismen von Bands wie Biohazard, sondern issue-geladen und in der civil rights-Tradition seit den 60er Jahren geschult. Also: vergleichsweise analytisch, weil über Geschichte und Tagesgeschehen informiert.
Mit den besten Absichten und zum Ärger der konservativen US-Presse stellten Rage Against The Machine so ihren ironiefreien Ges-tus in den Dienst manch guter Sache; und nicht wenige HörerInnen haben aus dem Munde von Frontman Zack de la Rocha zum ersten Mal von Leonard Peltier, den Zapatisten oder auch von Allen Ginsberg gehört.
Dass da, wenn aus aktuellem Anlass Mumia Abu-Jamal das Stück „Freedom“ gewidmet wird, sich mancher in der gut gefüllten Sporthalle fragt, wer das denn eigentlich sei, gehört freilich zur Tragik des bandgewordenen Gewissens: Vor der Moral kommt allemal die Intensität, das Erlebnis, in einer Menge Gleichgesinnter die von der Bühne herabgeschmetterten richtigen wie hohlen Slogans wider Kontrolle, Vermassung und den ungerechten Status Quo mitzuskandieren. Das Absurde der Szenerie ist offenkundig: Belehren lassen will sich hier niemand, man ist ja bereits auf der richtigen Party; den korrekten Spaß haben, heißt es da, und so hüpfen wenigstens 400 Körper zu den riot sounds, die allenfalls in den mithin geräuschvoll-unkonventionellen Gitarrenpatterns Tom Morellos ansonsten wenig originelle Fahrwasser verlassen.
Mancher lässt sich zu solcher Untermalung über die Köpfe tragen, um nach Momenten der Erhabenheit von kurzgeschorenen Sicherheitskräften wieder auf den Boden tatsächlicher Verhältnisse gebracht zu werden. Die beiden über der Bühne prangenden Banner mit den roten Sternen und das für den Abend in „The Battle of Hamburg“ geänderte Albummotiv im Hintergrund bilden den Rahmen für eine zeitweilig sportiv anmutende Veranstaltung, in deren Verlauf die mythische Grenze zwischen Publikum und Bühne auch nicht für einen Moment durchlässig erscheint. Zu sehen gibt es – letztlich erwartungsgemäß – die Maschine selbst, obgleich zwar in einer widerspenstigeren Variante als sonst üblich, aber wenig gegen sie Wütendes. Knapp 90 schweißtreibende, allseits wohl zufriedenstellende Minuten, kaum Mehrwert.
Alexander Diehl
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