■ Neue Aussagen bekräftigen das Ungeheuerliche: Die CDU hatte seit den 70er-Jahren eine ungesetzliche Buchführung. Sie unterhielt verdeckte Konten im Ausland. Und die von anonymen Gönnern illegal gefüllte Kriegskasse Helmut Kohls war größer als behauptet: Das Kartell des Schweigens zerbricht
Seine Aussagen waren so neblig, so trüb wie ein Tag im späten November. Der Vernommene, ein gewisser Horst Weyrauch, versuchte zwar weiter, das Kassenwesen der CDU zu verschleiern. Aber der Augsburger Staatsanwalt Reinhard Nemetz protokollierte am 23. November 1999 schier unglaubliche Vorgänge in der CDU: Bargelder in Millionenhöhe, verdeckte Konten, wenig Mitwisser.
Das sollte es alles ausgerechnet bei der CDU gegeben haben? Die staatstragende Partei eine Geldschieberbande? An ihrer Spitze nicht der Ehrenvorsitzende Helmut Kohl, sondern ein Pate?
Was im trüben November noch eine gewagte Spekulation war, ist seit gestern Nachmittag, 16 Uhr, bittere Wahrheit für das Präsidium der Christlich-Demokratischen Union. Ihr Geschäftsführer Willi Hausmann hat neue Erkenntnisse gewonnen, als er zusammen mit Anwälten und Wirtschaftsprüfern zunächst die Buchhalter der schwarzen Kassen, Horst Weyrauch und Uwe Lüthje, vernommen hat. Auch Helmut Kohl sowie der ehemalige Schatzmeister Walther Leisler Kiep und CDU-Bürokrat Hans Terlinden haben sich erneut geäußert.
Die neuen Aussagen bekräftigen das Ungeheuerliche: Die CDU hatte bereits seit den 70er-Jahren eine notorisch ungesetzliche Buchführung. Ihr langjähriger Parteivorsitzender Kohl, dessen geschichtliche Leistung für die Partei über der Konrad Adenauers steht, hatte nicht nur volle Kenntnis von dem verdeckten Finanzsystem. Der Ex-Kanzler hat das gesetzwidrige System der CDU noch ausgebaut und perfektioniert – und das nach der Verschärfung des Parteiengesetzes im Zuge der Flick-Spendenaffäre. Zum System Kohl zählte:
1. Neben den offiziellen Konten der Partei gab es verdeckte Konten. Dazu, so die nun gesicherte Erkenntnis, auch eine Geldsammelstelle im Ausland – die Stiftung „Norfolk“ bei der UBS Bank in der Schweiz mit insgesamt vier Unterkonten, auf die nur Lüthje und Weyrauch Zugriff hatten. Transfers der schwarzen Gelder erfolgten in bar, um ihre Herkunft zu verschleiern. Die auf die Konten fließenden Mittel entstammten ungesetzlichen, teilweise kriminellen Quellen: aus Schmiergeldern, Steuerhinterziehungen, Geldwäsche, der Staatsbürgerlichen Vereinigung, selbst Geheimdienstmittel waren dabei.
2. Der Vorsitzende Kohl verfügte über einen eigenen Reptilienfonds, eine gleichfalls illegal von anonymen Gönnern gefüllte Kriegskasse für seine politischen Manöver in und möglicherweise außerhalb der Partei. Auch hier gehen die neuen Erkenntnisse über die bisher zugestandene Privatakquise von zwei Millionen Mark zwischen 93 und 98 hinaus. Zusätzlich soll er, so sein Kassenwart Lüthje, bereits zwischen 1989 und 1992 von privaten Barspendern 2 bis 3 Millionen Mark erhalten haben. Kohl bestätigte dies im Grundsatz, hielt aber den Betrag für zu hoch.
So sah gestern im Konrad-Adenauer-Haus das Sittengemälde der Partei aus. Die CDU hatte sich nach dem Krieg als Union gegründet, als Schmelztiegel von Konservatismus, Wirtschaftsliberalen und Politikern christlicher Herkunft. Jetzt sind der originären Regierungspartei die Komponenten ihres Namens abhanden gekommen: Das C für christlich und das D für demokratisch.
Für die Parteispitze verlief der gestrige Tag wie so viele in den marternden Wochen zuvor. Die nicht aufhören wollenden neuen Enthüllungen schockierten auch abgebrühte CDU-Politiker. „Was ich jetzt weiß, hat mein bisheriges Vorstellungsvermögen übertroffen“, sagte etwa der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm nach der Präsidiumssitzung.
Die CDU wollte gestern ein erster Etappenpunkt der Aufklärung erreichen. Was passierte ist, dass die Fragen weiter wuchern: Warum hat nie jemand nachgehakt? Wer wusste wirklich Bescheid über das geheime Finanzwesen oder hätte sich davon Kenntnis verschaffen müssen? Erweitert sich der Skandal auf Regierungsbestechung? Und, die alles entscheidende Frage: Wer ist, wer war eigentlich dieser Helmut Kohl?
Die Akteure nämlich, die zwischendurch ins Fadenkreuz von Rechercheuren und Ermittlern gerieten, sind nun in den Hintergrund getreten. Das persönlichen Geheimräte Kohls, Lüthje, Terlinden, Leisler Kiep und Weyrauch hatten wochenlang die Treuhandgesellschaft Ernst & Young hingehalten – für sie nur bessere BWL-Studenten. Nun haben sie sich zwar zu einer teilweisen Offenlegung des Kassensystems herabgelassen. Aber die ist voller Widersprüche. Der feine Walther Leisler Kiep „bestreitet entschieden“ (Hausmann), dass es Auslandskonten und dass er 5 bis 6 Millionen Mark schwarz vom Siemens-Konzern erhalten habe. Sein Ex-Kollege Lüthje hat dies aber „eidesstaatlich versichert“.
Auch Wolfgang Schäuble scheint, zunächst, aus der Schusslinie zu sein. „Der Parteivorsitzende heißt Wolfgang Schäuble“, sagte der kurzzeitig als Nachfolger gehandelte Bernhard Vogel nach einer Krisensitzung sämtlicher Ministerpräsidenten der Union gestern Morgen.
Helmut Kohl hat inzwischen zwar die Haltung der Totalblockade gegenüber seiner Partei aufgegeben. Aber bleibt wesentliche Auskünfte schuldig: die Namen der anonymen Spender. Kohl weigert sich weiter halsstarrig, ihr Namen zu nennen. „Herr Dr. Kohl“, formulierte Schäuble gestern ebenso offiziös wie machtlos, „sieht sich weiter nicht in der Lage, einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten.“ Christian Füller
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