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Kanzler Schröder ist in der Pflicht: Er muss die Ergebnisse des Bündnisses für Arbeit in den Tarifgesprächen mit der ÖTV umsetzenModerieren genügt nicht

Die traditionellen Tarifparteien müssen ihre Strategienneu ausrichtenSolidarische Umverteilung würde mindestens 200.000 Stellen finanzieren

Erst kürzlich hat sich Bundeskanzler Schröder als großer Moderator versucht: beim Bündnis für Arbeit. Jetzt stellt sich heraus, dass er nicht geneigt ist, die Ergebnisse wirklich ernst zu nehmen. In einer anderen Rolle – als oberster Arbeitgeber für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes – verfährt die Bundesregierung wie immer. Die Vorbereitungen für die Tarifrunde 2000 zwischen Bundesinnenminister Schily und der ÖTV verlaufen so traditionell, als hätte es die einjährigen Konsensgespräche zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften nie gegeben.

Dabei könnten die Ergebnisse des Bündnisses tatsächlich Arbeitsplätze schaffen. Es spricht sich vorrangig für beschäftigungspolitische Neuerungen aus: Vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben soll ebenso angestrebt werden wie eine verstärkte Nutzung der Altersteilzeit, ja der Teilzeit insgesamt.

Zwar reden der Bund, die Länder, die Kommunen, die ÖTV, die DAG sowie der Deutsche Beamtenbund alle von neuen Arbeitsplätzen – aber sie legen ihre Tarifstrategien so an, dass neue Arbeitsplätze strukturell und machtpolitisch eher verhindert werden. Die Gewerkschaften sind primär auf einen „Inflationsausgleich Plus“ ausgerichtet; die bisherigen Forderungen belaufen sich auf 4 bis 5 Prozent. Die rot-grüne Bundesregierung will dem zwar nicht entsprechen, verfügt aber nach allen Informationen über keine Tarifpolitik, wie sie das Bündnis für Arbeit eigentlich verlangt.

Wenn die Bündnis-Gespräche auch nur einen Pfifferling wert gewesen sein sollen, dann müssen die Tarifstrategien jetzt neu ausgerichtet werden. Dabei müssten nicht nur die traditionellen Tarifparteien umdenken, sondern auch die Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Stiftungen und Non-Profit-Organisationen – also alle, die ihre Beschäftigungsverhältnisse an den Prinzipien des öffentlichen Dienstes orientieren.

Nur wenn der öffentliche Dienst voran geht – und als oberste Dienstherren Schröder und Schily – kommt auch die Privatwirtschaft unter Druck. Was könnte ins Werk gesetzt werden, um neue Arbeitsplätze zu schaffen? Nach Radikalität geordnet, ergeben sich aus dem Bündnis für Arbeit drei Strategien, die sogar zum Teil miteinander kombinierbar wären:

1. Alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes erhalten eine zusätzliche freie Woche im Jahr – ein Mehr an Zeitwohlstand. Dafür müssen sie sich – zwei Jahre lang – mit einer realen Nullrunde ohne Inflationsausgleich zufrieden geben, verdienen also genauso viel wie 1999. Zeit statt Geld. Insgesamt würde diese solidarischen Umverteilung mindestens 200.000 Voll- und Teilzeitarbeitsplätze im weitesten Sinne des öffentlichen Sektors finanzieren. (Dabei ist im Übrigen auch ein Tarifvertrag vorstellbar, der die unteren Einkommensgruppen von der realen Nullrunde ausnimmt.) Diese Schätzung der schaffbaren Arbeitsplätze geht von folgenden Zahlen aus: 1998 betrugen die Personalkosten (1998) von Bund, Ländern und Gemeinden 345 Milliarden Mark. Nimmt man an, dass die einbehaltene Einkommenserhöhung etwa 3 Prozent entspricht, dann ist dies eine Ersparnis für die öffentlichen Kassen von etwa 10,2 Milliarden Mark. Damit ließen sich die schon erwähnten 200.000 neuen Arbeitsplätze schaffen, wenn man annimmt, dass jeder davon die öffentliche Hand durchschnittlich 50.000 Mark im Jahr kosten würde. Wenn sich auch Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Stiftungen und andere halböffentliche Institutionen anschließen würden, wären sogar zirka 300.000 neue Arbeitsplätze realistisch. Doch sollte die Diskussion nicht nur auf die Menge neuer Arbeitsplätze reduziert werden: Es geht auch um die Erneuerungsintelligenz öffentlicher Dienstleistungen.

2. Die öffentlich Beschäftigten erhalten eine Einkommenserhöhung, aber eine sehr moderate, die nur die reale Inflation ausgleicht. Sagen wir etwa eine Erhöhung von nur zwei Prozent anstatt von drei. Die eingesparten Mittel von einem Prozent – etwa 3,4 Milliarden Mark – könnten zum Teil in eine vernünftige Altersteilzeit im öffentlichen Dienst fließen. Bisher funktioniert sie nämlich nicht. Denn noch verlangt sie vom öffentlichen Arbeitgeber, dass er seine Bediensteten mit 83 Prozent des Gehalts in den Altersruhestand schickt. Damit ist unmöglich gleichzeitig eine neue Stelle zu finanzieren. Das Altersteilzeitmodell ist demnach nur flott zu machen, wenn einerseits die Abgangsbedingungen (83 Prozent) entluxuriert und das Geld für neue Stellen aus dem Tariftopf entnommen werden können. Damit wäre tatsächlich ein Einstellungskorridor für die jüngere Generation machbar.

3. Das gleiche Modell – realer Inflationsausgleich von nur zwei Prozent – könnte aber auch genutzt werden, um eine familiengerechte Teilzeitarbeit zumindest für junge Paare mit Kind anzubieten. Teilzeit würde nicht mehr bestraft, sondern im Sinne des Bündnis-Papiers tatsächlich attraktiver gemacht: Erstmals könnte erfahrbar werden, dass ein geringer Einkommensverlust mit einem großen Lebensgewinn belohnt wird. Eine 10-prozentige Arbeitszeitverkürzung würde nur zu einer 3-Prozent-Nettolohnminderung führen. Das Angebot könnte sowohl für vorhandene Stellen als auch für neu einzurichtende Arbeitsplätze gelten. Der öffentliche Dienst hätte die Chance, Schrittmacher für eine neue familiengerechte Normalarbeitszeit zu werden. Es würde dem Projekt der Geschlechterdemokratie wieder Auftrieb geben, das momentan stagniert.

Dieser neue Typus von Tarifvertrag weckt Ängste und Befürchtungen. Auch wenn solidarische Arbeitsumverteilungsmodelle mehrheitsfähig sind: Es bedarf eines behutsamen Aushandlungsmodells, das für öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften kalkulierbar ist und das von der Öffentlichkeit verstanden wird.

Deshalb ist zum Vertrauensschutz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Tarifvertrag eine Cash-Klausel vorzusehen. Damit ist eine Lohn- und Gehaltserhöhung in Höhe des Inflationsausgleichs gemeint, die automatisch eintritt, sofern sich öffentliche Arbeitgeber und Gewerkschaften nicht auf eine solidarische Arbeitsumverteilung und neue Arbeitsplätze einigen können. Eine solche Klausel schützt ernst gemeinte Solidarität und befördert einen produktiven Konsenszwang der Tarifpartner.

Auch wenn die Vereinbarungen im Bündnis für Arbeit bescheiden sind: Sie könnten ganz kleine Revolutionen in den Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes auslösen. Schröder und Schily jedenfalls müssen den Beweis antreten, dass sie glaubwürdig sind und nicht nur inhaltsleere Moderatoren waren. Auch als öffentliche Arbeitgeber müssen sie die Ergebnisse des Bündnisses für Arbeit ernst nehmen. Peter Grottian/Thomas Weidmann

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