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Vertrauensfrage für Chatami

Bei den Parlamentswahlen entscheiden die IranerInnen über den Spielraum ihres Präsidenten. Doch es sind nur handverlesene Kandidaten zugelassen ■ Von Thomas Dreger

Berlin (taz) – Die ganz heiße Phase des Wahlkampfes fiel der Kälte zum Opfer. Weil die Temperaturen in den im Gebirge nördlich von Teheran gelegenen Ortschaften am Dienstag auf minus fünf Grad Celsius fielen, es zudem schneite und die Stromversorgung zusammenbrach, mussten sämtliche Veranstaltungen der rivalisierenden Kandidaten abgesagt werden. Korrespondenten kreierten den Begriff „white out“. Doch in der iranischen Hauptstadt wurde weiter gekämpft. Schlotternde potenzielle Wähler hörten schlotternden Kandidaten zu.

Es geht um etwas bei den heutigen sechsten Parlamentswahlen der Islamischen Republik: Mit der Abstimmung über die Besetzung der 290 Stühle im „Madschlis“ wird entschieden, ob dort auch künftig eine konservative Mehrheit die Politik des reformorientierten Präsidenten Mohammad Chatami sabotieren kann.

Seit seinem Erdrutschsieg bei den Präsidentschaftswahlen am 23. Mai 1997 kämpft Chatami gegen die konservative Mehrheit im Establishment des Landes. Die wird zuallererst repräsentiert durch den Religiösen Führer Ajatollah Ali Chamenei. Der Nachfolger von Revolutionsführer Ajatollah Ruholla Chomeini ist der mächtigste Mann im Staat. Sein wichtigster Verbündeter ist Ali Akbar Natek Nuri. Er präsidiert derzeit über das Parlament und unterlag 1997 Chamenei.

Damals überlegten sich die völlig überrumpelten Konservativen, die Abstimmung zu annullieren. Doch der Geheimdienst warnte. In diesem Falle drohe ein Volksaufstand. Seitdem regiert Chatami mit der Mehrheit der Bevölkerung im Rücken gegen die Mehrheit des Staatsapparates. Mit gemischten Resultaten. Zwar konnte das „Gesicht der Güte“ einige Liberalisierungen durchsetzen. So werden zumindest in Teheran die Bekleidungsvorschriften für Frauen nicht mehr so rigide kontrolliert. Doch immer wieder erlebt er Rückschläge. Die größte Niederlage erlitt der heute 56-Jährige vor gut einem Jahr. Innerhalb weniger Wochen wurden fünf Regimekritiker ermordet. In Teheran weiß jeder, dass der Geheimdienst dahinter steckt – und genau aus diesem Grund sind die Morde bis jetzt nicht aufgeklärt. Ein weiteres Desaster des Präsidenten war die Niederschlagung der Studentenproteste im vergangenen Sommer. Noch immer sitzen zahlreiche seiner jungen Anhänger im Gefängnis.

38,7 Millionen Wahlberechtigte der rund 65 Millionen Iranerinnen müssen nun entscheiden, ob sie den notgedrungenen Zickzackkurs des Präsidenten weiter unterstützen oder sich in die private Resignation zurückziehen. Eine besondere Rolle kommt dabei der Jugend zu. Die Hälfte der IranerInnen hat die Islamische Revolution vor 21 Jahren nicht erlebt. Gewählt werden darf ab 16 Jahren. Und vor allem Jugendliche feierten Chatami bei seinem Amtsantritt regelrecht als Popstar. Die heutige Abstimmung ist eine Vertrauensfrage für Chatami, auch wenn er gar nicht zur Wahl steht.

Um eine Niederlage zu verhindern, traf der mächtige konservative Wächterrat eine Vorauswahl der Kandidaten. Von 6.856 wurden 576 nicht zugelassen. Etliche weitere zogen ihren Anspruch zurück. Betroffen sind vor allem solche Persönlichkeiten, die im Verdacht stehen, die Prinzipien der Islamischen Republik in Frage zu stellen. Unter ihnen sind sämtliche Kandidaten der „Nehsat-e Asade“ (Freiheitsbewegung). Die Organisation beruft sich zwar immer wieder auf die Verfassung des Gottesstaates, steht aber in dem Ruf, eine weltliche Republik zu wollen. Und die Islamische Republik steht bei allen iranischen Mächtigen inklusive Chatami nicht zur Debatte.

Auch interne Rechnungen führten zur Disqualifizierung von Kandidaten. So wurde der ehemalige Innenminister Abdollah Nuri nicht zugelassen. Der Chatami-Vertraute wurde im vergangenen Jahr verurteilt, weil seine inzwischen verbotene Zeitung „Chordad“ zu offen an der Stellung des Religiösen Führers gerüttelt hatte. Der Geistliche Nuri stehe nicht auf dem Boden der Islamischen Republik, lautete die fadenscheinige Begründung.

Chatami musste zuschauen. Zu mächtig sind seine konservativen Gegner. „Wenn es einige Menschen geben sollte, die das Gefühl habe, ihre Rechte seien verletzt worden, dann entschuldige ich mich bei ihnen als demütiger Diener“, zitierte die Tageszeitung Moscharekat (Zusammenarbeit) den hilflosen Präsidenten.

Unbeanstandet passierten 5.728 Kandidaten den Wächterrat, darunter auch berüchtigte Hardliner, die man längst in der politischen Gruft wähnte. So der ehemalige Geheimdienstminister Ali Fallahian. 1997 bescheinigte ihm das Berliner Kammergericht, zu den Hauptdrahtziehern des Mykonos-Attentates zu gehören, bei dem vier oppositionelle iranische Kurden 1992 in Berlin ermordet wurden. Ebenfalls keinen Grund zur Sorge sahen die Wächter in der Kandidatur von Sadik Chalchali. In der ersten Zeit nach der Revolution machte er sich einen Ruf als „Blutrichter“. Unlängst auf die Zahl der von ihm damals auf das Schafott geschickten Menschen angesprochen, antwortete er : „Bestimmt weniger als 1.000.“

Dennoch versprühen die Reformer Optimismus. Der Wächterrat habe trotz allem ungewöhnlich viele Reformkandidaten zugelassen, heißt es aus dem Pro-Chatami-Lager. Doch manchen klingt das wie das Pfeifen des Einsamen im Walde. Hinzu kommt, dass das Wahlsystem extrem unübersichtlich ist. Weil politische Parteien in Iran bis vor kurzem verboten waren, haben sich Kandidaten – sieben Prozent davon Frauen – auf Listen zusammengeschlossen. Allein 18 davon zählen sich selbst zum Reformlager. Und wie um die Verwirrung zu steigern, tauchen die Namen etlicher Kandidaten auf mehreren Listen auf, am häufigsten der des Ex-Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani (siehe Portrait).

Wer im ersten Wahlgang 25 Prozent der Stimmen bekommt, ist gewählt. Alle anderen müssen in die Stichwahl. Für Chatami wird spätestens dann entscheidend sein, wie viele seiner Anhänger ein weiteres Mal zu den Urnen gehen. Als wollte sie dem Präsidenten Mut machen, veröffentlichte die ihm nahe stehende Tageszeitung Iran Daily am Mittwoch eine Internetumfrage der in London produzierten Website „iranmania“. Sie ergab: 88,8 Prozent der Befragten halten die Wahlen für „entscheidend“, 97,9 Prozent würden ihre Stimme einem Reformer geben. Einziger Haken: die meisten der Befragten dürften im Exil leben.

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