Press-Schlag: Großkotze, Träumer, Nobelpreisträger ■ Bayern macht ohnmächtig
„Obwohl die Duisburger in der ersten Halbzeit die besseren Chancen hatten, hatte ich nie das Gefühl, dass wir das Spiel verlieren könnten“, sprach Oliver Kahn, Torwart des FC Bayern München, in der Fernsehsendung „ran“. „Arrogantes Arschloch“, hallte es ihm aus hunderttausenden deutschen Wohnzimmern entgegen, aber er konnte es natürlich nicht hören, weil das, was die Fußballprofis in den Stadien sagen, zu den Menschen in die Wohnzimmer übertragen wird, das was die Menschen in den Wohnzimmern sagen, aber nicht in die Fußballstadien.
Das ist auch gut so, denn die Volksseele urteilt in Sachen Kahn und FC Bayern in hohem Maße voreingenommen und ungerecht. Kahn ist nämlich mitnichten arrogant. Unter Berücksichtigung seines intellektuellen Potenzials ist sein Satz eher als naive Wahrhaftigkeit, allenfalls Großkotzigkeit zu bewerten, denn Arroganz braucht einen Schuss Souveränität.
Dass Oliver Kahn eine solche Großkotzigkeit überhaupt von sich gibt, lässt keine Rückschlüsse auf seinen Charakter zu, sondern es ist ein gruppendynamisches Phänomen. Beim FC Bayern München sagt jeder Spieler solche Sätze, bei allen anderen Vereinen keiner. Ein Spieler, der von einem anderen Club zu den Bayern wechselt, lernt solche Sätze innerhalb weniger Wochen, ein Spieler, der die Bayern verlässt, gewöhnt sich solche Sätze innerhalb weniger Tage ab. Kahns Großkotzigkeit ist also keine individuelle, sondern Teil einer übergeordneten, kollektiven Großkotzigkeit. Der Aufschrei des Fußvolkes ist da nichts weiter als pure Hilflosigkeit, denn im Grunde wissen wir alle, dass Kahn und die Bayern Recht haben. Keiner der Millionen vor der Glotze hatte nur eine Sekunde das Gefühl, der FC Bayern könnte das Spiel verlieren. Wenn aber ein Bayer dieses Gefühl offen ausspricht, kocht die Volksseele, weil dieser Bayer dem Rest des Fußballvolkes seine Ohnmacht vor Augen führt.
Nur Ahnungslose, Träumer und Literaturnobelpreisträger wollen sich partout nicht mit den ehernen Gesetzen des deutschen Profifußballs abfinden, die heißen: 1.) Es gewinnen nicht die Besseren, sondern die Glücklicheren. 2.) Erfolg haben auf Dauer nicht die Guten oder die Gerechten, sondern die Reichen. 3.) Die Glücklicheren und die Reichen sind die Bayern.
Nun gehört Trotz ja zu den hervorstechendsten Tugenden eines Schriftstellers, was Günter Grassens Bekenntnis zum SC Freiburg als Lieblingsverein erklärt. Grass mag deren Trainer Volker Finke, weil der immer wieder neue Spieler holt, die dann wieder weggekauft werden, so dass er dann wieder neue Spieler holen muss. Wahrscheinlich fühlt sich Grass an die Sisyphusarbeit des Schriftstellers erinnert, der ständig Bücher schreibt, die dann weggekauft werden, so dass er wieder neue Bücher schreiben muss, und irgendwann kriegt er den Nobelpreis und alles hat sich gelohnt.
Wäre der Fußball so einfach wie die Literatur, dann würde vielleicht auch mal der SC Freiburg Meister. Joachim Frisch
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