: Satanische Jesuslatschen
Das Stadttheater Heilbronn führt den Leidensweg Jesu Christi als schwule Tragödie auf. Inzwischen ist der Skandal mit einer Bombendrohung eskaliert ■ Von Philipp Maußhardt
Der Auftritt des Laiendarstellers Gebhard war nicht geplant. Kurz vor neun Uhr trat der uniformierte Polizeibeamte aus dem dunklen Bühnenhintergrund ins Rampenlicht und unterbrach Jesus, der gerade den Sonnenaufgang betrachtete und Vorbereitungen zum Onanieren traf. „Es hat eine Bombendrohung gegeben. Die Aufführung ist für heute leider beendet. Ich muss Sie bitten, zügig, aber ohne Panik die Ausgänge aufzusuchen.“ Ruhig und gefasst verließen die 700 Zuschauer das Stadttheater zu Heilbronn.
So endete am Donnerstag die 21. Aufführung von „Corpus Christi“ des amerikanischen Autors Terrence McNally, einem Stück, das, seit es im September vergangenen Jahres in der schwäbischen Provinz in deutscher Sprache uraufgeführt wurde, eine Eskalation der Entrüstung auslöste. Christliche und muslimische Fundamentalisten laufen Sturm, weil Jesus und seine Jünger sich darin nicht nur im religiösen Sinne lieben. Die weitgehend bekannte Handlung von der Geburt bis zur Kreuzigung bezieht ihre aufreizende Wirkung denn auch lediglich aus der Interpretation der Apostel als Schwulengemeinschaft. Am Ende verrät Judas seinen Herrn, weil der ihn als Liebhaber abblitzen ließ.
Während das Heilbronner Publikum bei der Premiere über ach so viel Unartigkeit artig klatschte, formierten sich außerhalb des Theaters langsam die Gegner: Erst protestierte die „Partei der bibeltreuen Christen“ vor dem Eingang, dann schrieben Einzelpersonen, aber auch Vereinigungen wie das „Fatima-Weltapostolat in der Diözese Münster“ Briefe an den Heilbronner Oberbürgermeister („... hiermit protestieren wir ...“). Schließlich drohte man dem Intendanten Klaus Wagner anonym an, „sein Haus bis auf die Grundmauern niederzubrennen“. Die Gewaltfantasien gipfelten zunächst in Morddrohungen, jetzt ist mit der Bombendrohung ein vorläufiger Höhepunkt erreicht.
Dass die Polizei die ausgestoßenen Verwünschungen so ernst nimmt, liegt vor allem daran, dass sich radikale Muslime (sie verehren Jesus als Propheten) und Christen in ihrer Gegnerschaft vereinigt haben. Vor einigen Tagen überreichten „marianische Katholiken“ dem Bürgermeister der Stadt 11.200 Unterschriften mit der Bitte, das Stück abzusetzen. Der Oberbürgermeister aber denkt gar nicht daran. In London hatten Muslim-Fundamentalisten Ende vergangenen Jahres gar zur Ermordung des Autors aufgerufen, und die Teheran Times schrieb: „Dichter wie Rushdie oder McNally verdienen nicht, auf der Welt zu leben.“
Der Amerikaner Terrence McNally ist kein berüchtigter Skandalautor. Im Gegenteil: Seine Theater- und Musicalstücke („Der Kuss der Spinnenfrau“, „Meisterklasse“) gelten eher als flott geschriebene Unterhaltungskunst denn als tief schürfende Gesellschaftsanalysen. Er gewann in den USA mehrfach den begehrten „Tony“ und ist Pulitzerpreisträger. McNallys Gerburtsort ist die Hafenstadt „Corpus Christi“ in Texas.
Intendant Klaus Wagner wehrt sich heftig, wirft man ihm vor, mit diesem Stück nur eine kalkulierte Provokation für sein bundesweit wenig beachtetes Stadttheater im Sinn gehabt zu haben. Für ihn ist „Corpus Christi“ zunächst „nur ein Theaterstück, das etwas mit Nächstenliebe und mit tiefer Religiosität“ zu tun hat. Den besten Grund, so eine Inszenierung auf die Bühne zu bringen, „haben die Proteste selbst gezeigt“, sagt Wagner, denn auf diese Weise sei „der Bodensatz an Faschismus, den es in jeder Gesellschaft gibt, wieder einmal sichtbar geworden“.
Klaus Wagner ist knapp 70 Jahre alt, und unter seiner über 20-jährigen Intendanz hat sich das Heilbronner Theater in finanzieller Hinsicht zur erfolgreichsten städtischen Bühne in Baden-Württemberg entwickelt. In der Nacht, als die Polizei sein Haus räumen ließ, stand Wagner sichtbar entsetzt auf dem Vorplatz und verkündete trotzig, er lasse sich von „Faschisten, ob sie sich christlich nennen oder anders, nicht den Spielplan vorschreiben“. Heute Abend wird das Stück wieder gespielt, notfalls unter noch strengerem Polizeischutz. Auch in New York mussten die Besucher 1998 schließlich erst einen Metalldetektor passieren, ehe sie den Theatersaal betreten durften. Aus Angst vor Anschlägen hatte man das Stück vom Broadway ins sicherere New York City Center verlegt. In den USA hatte sich die „Katholische Liga für religiöse und bürgerliche Rechte“ zum Sprachrohr der Demonstranten gemacht.
Den Schauspielern standen die Tränen in den Augen: „Ganz, ganz traurig“ sei er, sagte Matthäus (Odo Jergitsch) hinterher. „Sind wir schon wieder so weit?“, fragte sich Petrus (Andreas Wobig). Nur die kleine Gruppe von Christen, die, wie bei jeder „Corpus Christi“-Aufführung, vor dem Theater bei Kerzenlicht ausharrten und für die Zuschauer und Schauspieler beteten und sangen, machten fröhliche Gesichter. Aber das tun sie immer. Und sagen: „Wir haben mit der Bombendrohung nichts zu tun.“ Die Einladung des Intendanten, sich das Stück doch einmal anzuschauen, haben alle Demonstranten bislang nachdrücklich abgelehnt. „Es ist so schwer“, stöhnte denn auch Klaus Wagner, „mit Menschen zu diskutieren, die nichts wissen und die auch nichts wissen wollen.“ Etwas verloren stand ein einsamer Homosexueller unter dem schwäbischen Nachthimmel und hielt sein Plakat in die Dunkelheit: „Ich bin schwul und ich bin Christ.“ In McNallys amerikanischer Originalfassung heißt es passend dazu: „Jesus gehört uns ebenso wie euch.“
Ein Großaufgebot von Polizei und Feuerwehr sperrte nach der Drohung das Heilbronner Theater weiträumig ab. Eine Bombe fand man nicht. Das Stück, schrieb übrigens die New York Times schon nach der Uraufführung in New York, „ist so gefährlich wie ein Glas Schokoladenmilch“.
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