: Kriegsbericht auszweiter Hand
■ Nach dem Fall N 24 vergehen Russlands Medien fast vor klebrigem Selbstmitleid
Moskau (taz) – „Aus einer kleinen Lüge entstand die ungeheuerliche Anschuldigung, russische Truppen hätten friedliche Bürger gefoltert“, klagt die Iswestija in einer Reaktion auf den „Fall N 24“. Der Moskau-Korrespondent des im Januar gestarteten Nachrichtensenders hatte letzte Woche schockierende Aufnahmen aus Tschetschenien geliefert und als eigenes Werk ausgegeben. Darin bestand die „kleine Lüge“.
Bedauern tut not. Aber nicht im Tonfall jenes klebrigen Selbstmitleids, der inzwischen die Seiten der früher renommierten Iswestija und die Kommentare des staatlichen Fernsehens beherrscht, Tenor: Westkorrespondenten diskreditieren Russland mit allen nur erdenklichen unlauteren Mitteln.
Nun gehören Verschwörungstheorien in Moskau zum Alltag, und die russische Propaganda nutzt das Fehlverhalten, um von den brutalen Machenschaften und Menschenrechtsverletzungen der Armee in Tschetschenien abzulenken. Denn Hinweise gibt es zuhauf. Wird die Militärstaatsanwaltschaft nun trotzdem noch den Hintergründen des umstrittenen Materials nachspüren? Die Aussichten sind gering, zumal die schwachen, aber einzigen Anwälte künftiger Opfer, eben die westlichen Journalisten, massiv an Glaubwürdigkeit verloren haben.
Dennoch, die Empörung, die den inzwischen entlassenen Korrespondenten Frank Höfling aus Deutschland und Russland entgegenschlägt, ist unehrlich, zumindest aber nicht ganz aufrichtig. Oleg Blozki, der russische Journalist und Urheber der Bilder, wusste, was mit seinem Material geschah. Er wollte verdienen und sich ins Gespräch bringen. Dass ein Westjournalist keine nennenswerte Summe für eine mitgeschnittene Beerdigungsfeier ausgibt, war ihm, der nicht zum erstenmal mit westlichen Sendern zusammenarbeitet, bekannt. Doch das ist eine eigene Geschichte – von Käuflichkeit und Huren in diesem Business, wohlgemerkt diesseits und jenseits der Grenze.
Wer einige Zeit in Russland arbeitet und an Kriegsschauplätzen Erfahrungen sammeln konnte, wusste nach Ausstrahlung des Materials zumindest eins mit Gewissheit: Höfling konnte nicht der Autor sein. Verwunderlich ist, dass dem ehemaligen Pro-7-Korrespondenten mit jahrelanger Russlanderfahrung selbst keine Zweifel kamen, wie leicht sich seine Behauptung widerlegen lassen würde. Sollten die Korrespondenten von Privatsendern, deren journalistische Leistung sich auf maximal zwei 30-Sekunden-Aufsager pro Woche beschränkt, den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben? Vorgaukelung von Authentizität ist schließlich die wichtigste Aufgabe in diesem Geschäft. Der ehemalige Russland-Korrespondent eines anderen deutschen Privatsenders rühmte sich dessen sogar nachlesbar in Buchform: Er lieferte einen Live-Bericht von der Beschießung des russischen Parlaments – obwohl er hinter den Bergen im georgischen Tiflis saß. Keiner regte sich damals auf, im Gegenteil, war doch die politische Großwetterlage eine andere.
Die Entrüstung ist gespielt. Alle Sender kaufen Material von einheimischen Kameraleuten. Selten sind Korrespondenten selbst vor Ort, solange es knallt oder sie sich nicht im sicheren Tross der Sieger bewegen. Den Job als Vogelfreie erledigen meist schlechter bezahlte russische Angestellte oder „Stringer“. Die Praxis der BBC und amerikanischer Anstalten bildet eher die Ausnahme, der deutsche Michel zieht es vor zu kommentieren. Die FAZ, die an N 24 beteiligt ist, hat es ihren Journalisten gar untersagt, in Kriegsgebiete zu reisen: Berichterstattung aus zweiter Hand. Nichts entschuldigt den unverzeihlichen Fehler Frank Höflings, aber es relativiert zumindest seinen moralischen Fehltritt.
Klaus-Helge Donath
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