Viel Lärm um nichts

Angebliche Reparationsforderungen der USA an Deutschland sind wieder vom Tisch. Amerikanischer Verhandlungsführer Eizenstat teilt Graf Lambsdorff mit: Kriegsschäden „nicht länger ein Streitpunkt“ bei Verhandlungen über Zwangsarbeiterentschädigung

BERLIN taz ■ Für allseitige Verwirrung sorgte am vergangenen Wochenende ein bislang unveröffentlichtes Memorandum von Stuart Eizenstat, Delegationsleiter der amerikanischen Seite bei den Verhandlungen zur Entschädigung der Zwangsarbeiter.

Zuerst verlautete, Eizenstat habe den von der deutschen Industrie geforderten Rechtsschutz vor doppelter Zahlung in der Weise eingegrenzt, dass Reparationsforderungen an die deutsche Seite für Kriegsschäden im Zweiten Weltkrieg nicht eingeschlossen seien. Dann teilte Graf Lambsdorff, deutscher Verhandlungsleiter, der Welt am Sonntag mit, Eizenstat habe ihm einen Entwurf herübergereicht, in dem es heißt: „Die beiden Regierungen stimmen überein, dass die Frage von Reparationen, die aus dem Zweiten Weltkrieg herrühren, soweit es Vermögen betrifft, nicht länger ein Streitpunkt sind.“ Also „Much ado about nothing“.

Unter Reparationen versteht man die Geld- und Sachleistungen, zu denen sich nach einem verlorenen Krieg die unterlegene Seite verpflichtet. Nachdem auf der Jalta-Konferenz Anfang 1945 Deutschlands Reparationsleistungen im Prinzip festgelegt worden waren, bedienten sich die alliierten Mächte nach 1945 aus dem deutschen Produktionspotenzial – die Sowjetunion in ihrer Zone rigoros, die westlichen Alliierten mit mehr Augenmaß. Schließlich waren die Westzonen ein potenzieller Verbündeter. 1953 verzichteten die Sowjetunion und Polen auf weitere Reparationszahlungen. Auf der Londoner Schuldenkonferenz, die nur die Vor- und Nachkriegsschulden Deutschlands regelte, wurde festgelegt, dass Reparationen erst im Rahmen eines Friedensvertrags ausgehandelt würden. Der ließ auf sich warten.

Die Zwei-plus-vier-Verhandlungen des Jahres 1990 wurden nach Abschluss der Verhandlungen von den Vertragspartnern als Friedensvertrag interpretiert. Da Reparationsfragen nicht aufgeworfen wurden, gelten sie heute als erledigt. Die meisten potenziellen Gläubigerstaaten schlossen sich dieser Sicht der Dinge zähneknirschend an, mit Ausnahme Griechenlands.

Lange Zeit meinte die Bundesrepublik, die Entschädigung von Zwangsarbeitern falle unter Reparationen, weshalb die deutschen Entschädigungsgesetze für Zwangsarbeiter nicht zuträfen. Auch die noch unter der Kohl-Regierung eingerichteten Stiftungen schlossen eine Kompensation für Zwangsarbeit aus. Ohne von dieser Rechtsposition explizit abzurücken, soll durch die Bundesstiftung jetzt doch faktisch entschädigt werden. Der Entwurf sieht eine Milliarde Mark für die Restitution von Vermögensschäden vor, allerdings nur, soweit diese Schädigung aus rassistischen Gründen erfolgte. Von Seiten der osteuropäischen Delegationen wie auch der Bündnisgrünen ist schon seit längerer Zeit gefordert worden, den Umkreis der Berechtigten auszudehnen. Es wäre sehr wohl möglich, in begrenztem Umfang solche individuellen Zahlungen vorzusehen, ohne das dicht verschlossene Fass der Reparationsleistungen aufzumachen. Reparationen werden von Staat zu Staat gezahlt, nicht vom Staat an einzelne Geschädigte. CHRISTIAN SEMLER