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Schönheit ist, was trotzdem gefällt

Warum in Berlin die Zahl der Schloss-Fans wächst, es um die Gegner des Wiederaufbaus aber still geworden ist

Wie hässlich muss Berlin sein, dass selbst ein historisierender Architekturkitsch wie das Hotel Adlon am Pariser Platz für schön befunden wird?

Was haben Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer gemeinsam?

Alle drei fühlen sich in der Mitte der Hauptstadt nicht richtig wohl, empfinden den Palast der Republik als Angriff auf den guten Geschmack und wollen lieber heute als morgen wieder das alte Stadtschloss. Warum, das deklamierte – stellvertretend für viele Schloss-Befürworter – der Bundeskanzler höchstselbst. Wenn er aus seinem provisorischen Amtssitz im Staatsratsgebäude schaue, ließ Gerhard Schröder die Zeit wissen, dann sehe er den „monströsen“ und „hässlichen“ Palast der Republik. Das alte Stadtschloss dagegen sei „einfach nur schön“.

Seitdem es in Berlins Mitte wieder um Schönheit geht, ist es still geworden um die ehemaligen Gegner des Stadtschlosses. Noch 1994, als „Schlossherr“ Wilhelm von Boddien den Berlinern über Monate hinweg eine gigantische Schloss-Attrappe aus Plastikplanen schenkte, galt es als schick, sich über den „Rückfall in die Preußenzeit“ zu echauffieren. Heute steht nicht einmal mehr das Hotel Adlon am Brandenburger Tor unter dem Historismusverdacht der Kritiker. Auch die Preußengegner haben sich mit falschen Giebeln, Risaliten, Gauben und Fensterprofilen angefreundet. Schönheit ist, was trotzdem gefällt.

Was aber bewirkte den schleichenden Sinneswandel? Woher kommt dieses neue Bedürfnis nach Schönheit? Als wie hässlich muss Berlin empfunden werden, dass der Architekturkitsch eines Hotel Adlon oder ein neu betoniertes Hohenzollernschloss schön genannt werden könnte?

Als vor vier Jahren in der Friedrichstraße die Galeries Lafayette eröffneten, hofften nicht wenige, der Pariser Chic möge auch in der deutschen Hauptstadt einziehen. Jean Nouvel, der Architekt des gläsernen Tempels Quartier 207, sprach von der „Poesie des Kommerzes“, und der damalige Bausenator lobte die Friedrichstraße als Wiederbelebung einer der schönsten und quirligsten Magistralen der goldenen 20er-Jahre.

Allein, die Wirklichkeit sieht anders aus. Nach der baulichen Fertigstellung der Friedrichstraße wurde es eher zur Mode, ob der Einfallslosigkeit der Architektur und der Monotonie der Baublöcke die Nase zu rümpfen, und selbst die Galeries Lafayette, dieser ästhetische Brückenkopf Pariser Eleganz, haben mit der schieren Absenz Berliner Kaufkraft zu kämpfen. Die Poesie des Kommerzes ist eben etwas anderes als die Kultur der Armut.

Doch so paradox es klingen mag: Seitdem die meisten Bauvorhaben – neben der Friedrichstraße auch der Potsdamer Platz und der größte Teil des Regierungsviertels – vollendet sind, hat sich Berlin wieder selbst eingeholt. Die künstliche Noblesse hat die sie umgebende Tristesse tiefenscharf gemacht und in einen seltsamen Kontrast gesetzt. Fast nahtlos passen sich die auf Glamour getrimmten Büroklötze neben verfallenen Altbauten, Baulücken und schmucklosen 70er-Jahre-Bauten ein.

Einzige Ausnahme ist der Hackesche Markt in Berlin-Mitte. In den restaurierten Höfen der Jahrhundertwende und vor den Neuen Hackeschen Höfen der Nachwendezeit herrscht jener Publikumsandrang, der der Friedrichstraße verwehrt blieb. Die gute, alte Zeit gibt für die nach wie vor kleine Zahl urbaner Trendsetter noch immer das Bild des Städtischen ab, auch wenn die urbane Praxis längst vor- oder besser nachstädtisch geworden ist.

Ist der Ruf nach dem Stadtschloss, ist Schröders, Diepgens, Vollmers Begriff von Schönheit also nichts anderes als die Sehnsucht nach dem Unerfüllbar-Gewordenen, einem Disneyland für die von Proletentum und Pitbull-Berlinern umzingelten Urbaniten?

So psychologisch motiviert und sehnsüchtig der Trubel an den Kulissen der neuen Mitte sein mag, sosehr ist die Forderung nach dem Stadtschloss bei anderen dagegen politisches Programm. Das hat für Protagonisten des New Berlin wie Klaus Hartung oder Dieter Hoffmann-Axthelm vor allem mit dem Palast der Republik zu tun, jenem baulichen Erbe der DDR, das nicht nur für die Arroganz der Macht stand, sondern auch das Recht des Volkes auf einen Platz inmitten der Hauptstadt. Trotz ihrer oft fragwürdigen Ästhetik erinnern die städtebaulichen Ensembles der DDR-Moderne auch heute noch an ein Versprechen, das im Vergleich zu den Megaprojekten der Gegenwart kontrastreicher nicht sein könnte: hier soziale Gleichheit und eine Stadt der Bewohner, dort wachsende Differenz und eine Stadt des Anlagekapitals. Einer Restauration samt Wiederverknüpfung des Stadtbürgerdaseins mit Immobilienbesitz, wie der Architektursoziologe Wenrer Sewing die jüngsten Debatten um die Berliner Stadtentwicklung genannt hat, steht diese gebaute Erinnerung an nicht kapitalistischer Planung ebenso im Wege wie einer weiteren Privatisierung des Stadtraums.

Die Schönheit des wieder aufzubauenden Schlosses, auf die so viele hoffen, ist demnach auch die Antwort auf die als Hässlichkeit diskreditierte Egalität des Ostens, gegen die im Westen seit eben jener Zeit zu Felde gezogen wird, seitdem sich zeigt, dass auch die Versprechen des Kapitalismus an der deutschen Hauptstadt vorbeiziehen könnten.

So treffen am Berliner Schlossplatz mit dem fast schon wegsanierten Palast der Republik recht unterschiedliche Motivlagen zusammen. Nutzen würde freilich ein Schloss weder den Protagonisten des schönen Scheins noch den postmodernen Kämpfern für ein neues „Recht auf Ungleichheit“. Legt man den ästhetischen Überbau einmal beiseite und schaut auf die Stadt als Ganzes, sind nicht etwa Schröder, Diepgen, Vollmer und die neue Mitte auf dem Vormarsch, sondern die neuen Ränder samt der städtischen Peripherie. Längst schon haben Shopping Malls, Baumärkte und andere Insignien städtischer Armut von der Innenstadt Besitz ergriffen, und das selbst am Potsdamer Platz, wo ein nachgebauter Ampelturm an die einstige Bedeutung des verkehrsreichsten Platz Europas erinnern soll. Und, Hand aufs Herz, würde sich Gerhard Schröder wohl fühlen, wenn im Sockelbereich des neuen Schlosses eine Aldi-Filiale einzöge? UWE RADA

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