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Heiter in die Katastrophe

Stuttgart, das „Opernhaus des Jahres“, hat sich einen „Ring“ mit vier Produktionsteams zugelegtund feiert am Ende den naiven Blick auf das geschichtsbeladene Hauptwerk Richard Wagners

von FRIEDER REININGHAUS

Zweimal nacheinander verlieh eine kleine Opern-Fachzeitschrift in Berlin dem Unternehmen im Oberen Schlossgarten zu Stuttgart das Prädikat „Opernhaus des Jahres“. Die Geschäftsführung setzte diese Nobilitierung kräftig in der Werbung ein und strengte sich weiterhin an, immer wieder etwas Besonderes zu bieten. Das gelingt nicht zuletzt durch antizyklisches Verhalten. Beispielsweise bei der Realisierung von Richard Wagners Hauptwerk, dem vierteiligen „Ring des Nibelungen“, die in einem Feld scharfer Konkurrenz stattfindet. Rings herum wurde oder wird daran geschmiedet, nicht nur in Helsinki und Amsterdam, auch an kleineren Häusern in Kiel und Oldenburg, Braunschweig und Münster, in Bonn oder Mannheim.

Seit Mitte der Siebzigerjahre, als Patrice Chéreau mit Pierre Boulez den „Jubliäums-Ring“ zum hundertsten Geburtstag der Bayreuther Wagner-Festspiele konzipierte, war es den Theatermachern von Rang darum gegangen, das musiktheatralische Schlüsselwerk des 19. Jahrhunderts möglichst neu und aus einem Guss zu zeigen, also getragen von einer Idee und einem einheitlichen Konzept für die keineswegs homogenen vier Theater-Abende. Doch spätestens in den Neunzigern erwiesen sich die meisten „Ring“-Konzeptionen als brüchig, oft als nicht sonderlich tragfähig für 14, 15 oder 17 Musikstunden.

Es spricht für die Cleverness des Operndirektors Klaus Zehelein, dass er die Ermüdungserscheinungen bei den integralen „Ring“-Bemühungen erkannte und gegensteuerte. Er beauftragte vier verschiedene Teams. Vor einem Jahr eröffneten Jens Kilian und Joachim Schlömer mit „Rheingold“, verlegten es neckisch ins Bäder-Ambiente, wie es im benachbarten Cannstatt vor hundert Jahren zu finden gewesen sein mag. Da wurde zur fast operettenhaften Verhandlung der Vorgeschichte von Siegfrieds Helden-Biografie auf bizarre Weise ein Nachhall der Gründerzeit choreografiert.

Dann brachte Christof Nel das Ambiente der „Walküre“, in dem der Held auf eine böse Welt kommt, in die Nähe von Ilja Kabakovs realpostsozialistischen Installationen, in denen Chefgott Wotan als morbider Medienmogul marodiert. Der „Siegfried“ selbst, aufbereitet von Anna Viebrock und Jossi Wieler, spielte in einer Wohnküche der Fünfzigerjahre, vor der DDR-Grenzanlage aus den Sechzigerjahren und in einem schäbigen Landhotel der Siebzigerjahre. Die „Götterdämmerung“, auf Siegfrieds Tod zusteuernd, wurde nun von Peter Konwitschny und seinem Bühnenbildner Bert Neumann mit „naivem Blick“ gesehen, was dem Publikum einen zunächst – trotz aller Länge – kurzweilen Abend gewährt.

Der Dirigent Lothar Zagrosek, der die Konstante unter den Variablen der Gesamtproduktion repräsentiert, brachte das Filigrane und Verhaltene der Musik ebenso effektiv ins Spiel wie die sich erhitzenden Liebesbeziehungen, setzte die klare, kalte Hasslinie des Intriganten und Meuchelmörders Hagen gegen den optimistischen Heldenton Siegfrieds, der auch in der großen Trauerode noch einmal trumpft.

Konwitschny setzte etwa 80 Prozent der „Götterdämmerung“ in Szene. Die Nornen, die in groben Zügen die Vorgeschichte der Intrige rekapitulieren, die Voraussetzungen für Siegfrieds große Liebe, den unabsichtlich begangenen gigantischen Betrug an Brünnhilde und die tieferen Ursachen für seinen Tod, diese Nornen mit ihren bunten Kopftüchern sehen aus wie Zuwanderinnen aus Südosteuropa, die sich in den zweiten Wirtschaftskreislauf einfädeln. Sie kauern auf einer Pappe, die mit einem Baum bemalt wird – mit einer infantilen Karikatur der Weltesche. Sie singen von den Fügungen des Schicksals vor einer Plastikplane, wie sie heute Häuserbaustellen abdeckt.

Die Hülle fällt. Und zum Vorschein kommt eine Theaterbude, wie sie Richard Wagner wohl Anfang des 19. Jahrhunderts noch kennen gelernt hat. Islands Feuer lodert in fein geschnittenen Streifen goldenen Staniolpapiers, die die Windmaschine züngeln lässt. Am Küchentisch vor dem historischen Königsseepanorama mit dem leicht in Nebel gehüllten Watzmann versuchen der stimmlich etwas leichtgewichtige Siegfried – Albert Bonnema – und die schwerkalibrige Brünnhilde – Luana de Vol – über die Peinlichkeit des „Morgens danach“ wegzukommen. Sie im Nachthemd, er im Fell. Sie schenkt ihm ihr Steckenpferd, er ihr den alles entscheidenden Ring.

Die Naivität erweist sich als scheinhaft. Indem Trapper Siegfried, der Draufgänger, an den rheinischen Königshof gelangt und dort, in dieser Theaterscheune, unverzüglich über Gutrune herfällt, entbehrt es nicht der Komik, wenn er nach dieser getanen Heldentat zu singen hat: „Gunther, wie heißt deine Schwester?“ Konwitschny tunkt alles und konsequent in Kleinbürgerlichkeit, als wäre dieser schwache Gunther ein DDR-Apparatschik gewesen und Brünnhilde eine verdiente Traktoristin.

Mitunter schlägt die aufgesetzte Komik in Entsetzen um. Wenn etwa Brünnhilde ihren minnigen Helden zurückerwartet, sein Horn ertönt und plötzlich das romantische Bergseebild fällt und statt des Naturburschen ein im schwarzen Anzug getarnter „Fremder“ vor ihr steht und sie im Auftrag seines neuen Blutsbruders vergewaltigt.

Zum Zeichen der Ergebenheit, als wäre es eine weiße Fahne, lässt Brünnhilde ihre Unterhose auf die Schuhe hinunterrutschen. Da ist es nur konsequent, dass sie als Gunthers Braut gefesselt den Rheinländern präsentiert wird. Allerdings schlägt mit dieser Fesselung und Entfesselung der kleinbürgerliche Realismus in einen psychologischen um.

Überhaupt operiert die Inszenierung mit Anachronismen und Brüchen. Die Rheintöchter, die ihr Gold zurückfordern, das allerdings seit Alberichs Raub im Vorspiel so viel mehr wert geworden ist, diese drei Blondchen oder Blödchen sehen aus wie aus einem Otto-Katalog der Achtzigerjahre: So sexy also. Dass sie den Bären retten, dem Siegfried nachsetzt, mag sie ehren. Doch bleibt ihre Lockung im Namen des Naturschutzes fruchtlos, bis die Katastrophe hereinbricht – mit dem Sterben Siegfrieds, das sehr realistisch röchelnd vorgeführt wird. Und dann schiebt sich die schwergewichtige Luana de Vol in den Vordergrund, entsorgt die ganzen Männer auf der Bühne und wuchtet ihren tödlichen Monolog als Konzertarie in den hell erleuchteten Saal.

Zum ausladenden Orchesternachspiel, das Überschwemmung und Weltenbrand ausmalt, rollen dann nur noch die Regieanweisungen Richard Wagners über den inzwischen heruntergelassenen Vorhang: Die Regie hat vor der Katastrophe kapituliert.

Der neue Stuttgarter „Ring“ hat kein Gesamtkonzept und kein Ziel. Darin ist er ganz auf der Höhe der Zeit: Der improvisierende Wechsel der Anschauungen kennzeichnet ja nicht nur die politische Landschaft der Bundesrepublik, sondern auch das kulturpolitische Klima, für dessen Konjunkturen Klaus Zehelein ein feines Sensorium besitzt. Konwitschny hat in seinem Auftrag ein großes Werk auf charakteristische Weise verkürzt und verkleinert. Dergleichen ist, wie ein Leipziger Richter zuletzt im Streit um Konwitschnys Inszenierung der „Csárdásfürstin“ befand, eine urheberrechtlich schützenswerte Leistung.

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