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Rad fahren auf die harte Tour

Radmarathons werden immer beliebter, aber auch immer brutaler. Unter 200 Kilometern pro Tag geht nichts.Wer nicht ausgiebig trainiert, der wird kaum die Ziellinie erreichen und lässt die Gesundheit auf der Strecke

von MATTHIAS PÖPLAU

„Radmarathons sind die wirklich großen Herausforderungen der letzten Jahrzehnte und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit“, sagt Georg Stumpf. Als mehrfacher Weltrekordinhaber auf zwei Schmalreifen weiß er, wonach das rennradfahrende Fußvolk lechzt. Zurzeit wirbt er für seinen siebentägigen Deutschland-Radmarathon (19. bis 28. Mai 2000). Dabei gilt es, Tagesetappen von mindestens 260 Kilometern nonstop zu schaffen (siehe Kasten).

Mit dieser Veranstaltung liegt Stumpf voll im Trend. Immer mehr (velophile) Normalverbraucher suchen den ultimativen Kick auf der langen Strecke: als Bestätigung der persönlichen Leistungsfähigkeit, als Gemeinschaftserlebnis oder um das leichte Gleiten der gut geschmierten Rennmaschine möglichst lange auszukosten.

Wie lange genau, das hängt vom Veranstalter des Radmarathons ab. Das untere Limit liegt meist bei 200 Kilometern. Mit weniger gibt sich kaum jemand zufrieden. Es sei denn, einer der Alpenmarathons steht auf dem Programm. Hier wird das, was der Strecke an Kilometern fehlt, in Höhenmetern wieder hinzugefügt. Vier- bis fünftausend Höhenmeter sind keine Seltenheit.

Beim berühmten Rennen in der Heimat des Ötzi, dem Ötztaler Radmarathon, warten sogar mehr als 5.000 Höhenmeter bei weit über 200 Kilometer Wegstrecke auf jeden Kilometerfresser. Mit offizieller Zeitnahme und Siegerehrung haben die Alpenmarathons häufig Renncharakter und locken die besonders ambitionierten Pedaleure an. Bei den sieben Radmarathons der jährlich vom Bund Deutscher Radfahrer (BDR) ausgetragenen Super-Cup-Serie lässt man es dagegen gemütlicher angehen. Die Devise heißt: Dabei sein und ankommen ist alles.

Ankommen will man primär auch bei den großen Ultramarathons. Was bei Streckenlängen von teilweise weit über tausend Kilometern allerdings ein immer schwierigeres Unterfangen wird. Der erste Schritt zum Ultramarathon führt häufig über den Klassiker Trondheim–Oslo, der mit 540 Kilometern noch als moderat zu bezeichnen ist.

Fast unmenschlich wird es dann beim mörderischen Race Across America (RAAM) und seinem europäischem Ableger Race Across Europe. An dieses 14 Tage dauernde, 6.400 Kilometer lange Radrennen vom Nordkap nach Gibraltar hatten sich bei der letzten Austragung gerade mal vier (!) Teilnehmer gewagt. Nur die Hälfte von ihnen kam durch. Einer davon war Stefan Lau (33), der auf seinem Weg vom äußersten Norden in den äußersten Süden Europas bis zu 600 Kilometer am Tag bewältigte und dabei auch noch drei Stürze überstehen musste. In Spanien nickte er am Lenker ein und landete im Straßengraben – fahren, bis das Gehirn versagt.

Bleibt da nicht die Gesundheit auf der Strecke? Grundsätzlich ist bekannt, dass Ausdauersportarten eher als gesundheitsförderlich angesehen werden. Studien zeigen, dass durch regelmäßiges Training sämtlichen Herz-Kreislauf-Krankheiten vorgebeugt werden kann. Doch je extremer der Sport betrieben wird, desto größer sind die Risiken. Beim Radfahren zum Beispiel die für die Manneskraft. Dies ergab unter anderem eine Untersuchung von Trondheim–Oslo-Teilnehmern, die von vorübergehenden bis anhaltenden Taubheitsgefühlen im Genitalbereich berichteten. Als erwiesen gilt auch, dass bei sich extrem betätigenden Frauen regelmäßig der hormonelle Zyklus versagt – was zu vorzeitiger Osteoporose führen kann – und bei den männlichen Ausdauerkollegen häufig Eisenmangelanämien auftreten.

Wer also an einem Radmarathon teilnehmen möchte, sollte sich dieser möglichen Nebenwirkungen bewusst sein. Ein langes und aufbauendes Training ist obligatorisch. Schon so mancher unbedarfte Neuling, der das nicht beherzigte, ging morgens pfeifend an den Start und war nachmittags am Verpflegungsstand nicht mal mehr in der Lage, die Kuchengabel zum Mund zu führen. In den Einladungsunterlagen zur schwedischen Vätternrundan wird deshalb angeraten, idealerweise schon im Vorfeld 1.000 Kilometer abzukurbeln, bevor man sich dem Reiz der 300-Kilometer-Runde hingibt.

Doch der Lohn der Anstrengung winkt. „Das unbeschreibliche Gefühl“, schwärmt Georg Stumpf, „wenn man mit Gleichgesinnten über die Ziellinie rollt, entschädigt einen für alles.“

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