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Mit allen Mitteln heilen

Von Haifischknorpel bis Eigenurin: Der Berliner Krebskongress befasste sich auch mit alternativen Heilmethoden. Einige sind gefährlich, die meisten schlicht nicht überprüft

von MANFRED KRIENER

Sie schlucken Mistelextrakte und Echinaceasaft, sie applizieren zerriebene Haifischknorpel, lassen sich in Sand eingraben oder besteigen einen hohen Berg, um mit der Kletterei symbolträchtig auch die Krankheit zu besiegen: In der Bundesrepublik suchen 70 Prozent aller Krebspatienten Heilung in unkonventionellen Behandlungsmethoden.

Aber wie können sich die Betroffenen zwischen all den unseriösen Wunderheilern, Geldschneidern und Schwitzhütten-Schamanen orientieren? Und welches sind die Alternativmethoden von heute, die vielleicht schon morgen das Repertoire der Schulmedizin bereichern?

Fragen, die im Mittelpunkt des Symposiums „Alternative Therapiekonzepte“ beim Deutschen Krebskongress in Berlin standen. Die Ohnmachtsgefühle gegenüber einer tödlichen Krankheit seien häufig so überwältigend, dass überall nach Rettung Ausschau gehalten wird, sagte der Nürnberger Psychoonkologe Herbert Kappauf. Und die Regenbogenpresse liefere mit wundersamen Patientenberichten („Krebs sanft heilen!“) die passende Begleitmusik. Selbst Menschen, die ihr ganzes Leben rational organisiert hätten, würden sich plötzlich, von großen Ängsten erfüllt, unkonventionellen Therapien zuwenden. Die meisten dieser Patienten seien nicht mal unzufrieden mit der „normalen“ Behandlung. Ihre Motivation: Sie wollten einen zusätzlichen, eigenen und aktiven Beitrag leisten und damit der Ohnmachtsfalle entkommen: „Ich kann diese Krankheit besiegen!“

Kappauf thematisierte auch die schwierige Rolle des Krebsarztes, der den Patienten mit Operationen und hochtoxischen Chemotherapien viel Leid zufüge. Nicht die Krebsgeschwulst, die anfangs kaum sinnlich erfahrbar sei, sondern die versuchte Heilung werde als eigentliche Krankheit erlebt. Der Arzt werde zum Täter statt zum Helfer. Ihm gegenüber stehe der Alternativheiler, der mit Zuversicht und oft vollmundigen Versprechen die Patienten einfange. Kappauf räumte mit einigen Vorurteilen auf. Patienten, die sehr viel „Kampfgeist“ gegen ihren Krebs entwickelten, hätten keine besseren Heilungschancen als zurückhaltendere Kranke. Eine andere Beobachtung: Patienten, die unorthodoxe Behandlungsmethoden anwenden, seien depressiver und hätten einen schlechteren Gesundheitszustand.

Das Symposium machte das grundsätzliches Dilemma in der Beurteilung von Alternativmethoden klar. Viele Therapien sind kaum erforscht oder nur mit wissenschaftlich dubiosen Methoden. Die Mediziner, die dies kritisieren, haben aber selbst kein Interesse an der Erforschung, weil sie sich, so der Leiter des Symposiums, der Heidelberger Arzt Peter Drings, natürlich sehr viel lieber und mit gutem Recht aussichtsreicheren Forschungsvorhaben zuwenden würden. Häufig, so Drings, würden die Ärzte mit ihrem Forschungsgegenstand identifiziert. Die Angst, wissenschaftliches Renommee zu verlieren, sei groß.

Die Prüfung ist im Übrigen auch gar nicht so leicht. Forschungsvorhaben sind aufwendig und teuer. Viele Mittel, beklagte der Freiburger Krebsforscher Hans-Helge Bartsch, lägen zudem in unzähligen Anwendungsformen und Zusammensetzungen vor. Welches ist die Leitsubstanz, wie lässt sie sich standardisieren? Und wo bekommt man die Patienten für die Studie her? Immer weniger Kranke seien bereit, sich „randomisieren“ zu lassen (in wissenschaftlichen Studien erhalten nur 50 Prozent der Patienten die zu testende Arznei, die andere Hälfte bekommt ein anderes Medikament oder ein Placebo).

Die Münchner Methodikerin Gabriele Burkhardt zerpfückte in ihrem Referat gleich reihenweise unseriöse und wissenschaftlich unhaltbare Studien zur Misteltherapie und zur Krebsimpfung mit zuvor unschädlich gemachten Tumorzellen. Nicht immer seien die unkonventionellen Methoden auch ungefährlich. Bei der Misteltherapie gebe es, so Burkhardt, Hinweise auf eine Stimulierung des Tumorwachstums. Mistelpräparate finden indes breite Anwendung und erzielen in der Bundesrepublik Umsätze von jährlich mehr als 50 Millionen Mark.

Auf 1,5 Milliarden Mark wird in Sachen Krebstherapie die Gesamtsumme der Ausgaben für Arzneien ohne bewiesene Wirksamkeit geschätzt. Auch diese Zahl ist ein Argument, um unkonventionelle Konzepte zu erforschen und taugliche von sinnlosen Präparaten zu trennen. Nur: Eine Eliminierung von nachgewiesenermaßen sinnlosen Mitteln sei häufig nicht möglich, beklagten gleich mehrere Referenten. Sie blieben weiter unausrottbar auf dem Markt, egal, was die Wissenschaft herausfinde.

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