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Noch vor dem Auftritt

Kultursenatorin Christa Thoben muss erst mal Betriebswirtin spielen. Auf dem Programm stehen Sparkonzepte für die Bühnen. Perspektiven für die Kulturlandschaft Berlins lassen auf sich warten

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Manchmal wünscht sie sich ein Heinzelmännchen: So eines, das die Scherben aufkehrt, die sie zu Beginn ihres Jobs als Kultursenatorin in der Stadt vorgefunden hat. So eines, das zerschlagenes Porzellan zwischen Politik und staatlichen Bühnen wieder kittet. So eines, das arbeitet und Glanz hinterlässt. Aber das ist nur ein gelegentlicher Wunsch. Wenn es hakt, sagt Thoben, muss man die Lösungen „selbst vorantreiben“. Von allein geschieht nichts.

Und es muss etwas geschehen. Christa Thoben, Berlins neue Kultur- und Wissenschaftssenatorin, hat nach 100 Tagen im Amt einen kulturpolitischen „Schlamassel vor sich, der in den letzten 10 Jahre angerichtet wurde und der lichterloh brennt“, wie Jürgen Schitthelm, Direktor der Schaubühne, urteilt: 70 Millionen Mark Defizit im Budget der Senatorin, Bühnenhäuser, die von Geldsorgen gedrückt und der Schließung bedroht sind. Und schließlich sind da noch die Nadelstiche von SPD-Kulturstaatsminister Michael Naumann, der die Bundeszuschüsse als Druckmittel zur Mitsprache in der Hauptstadtkultur einsetzt.

Berliner Senatoren mit einem ausgeprägten Beziehungsnetz in der Stadt lösen solche Schwierigkeiten durch informelle Kungelrunden. Jahrelang hat ihr Amtsvorgänger Peter Radunski (CDU) im Dunstkreis des Regierenden Bürgermeisters die Probleme umschifft. Für Christa Thoben sind derartige Gremien fremdes Terrain. Ist sie doch die einzig neue Senatorin in der Regierung, die von außerhalb nach Berlin gekommen war.

Dass sie zugleich darauf pfeift, den „Inner circle“ der Partei zur Lösung kulturpolitischer Versäumnisse zu nutzen, hat sie vor einer Woche wieder einmal demonstriert. Da ließ sie den schnieken CDU-Kreisverband Wannsee samt dem mächtigen kulturpolitischen Sprecher der Partei, Uwe Lehmann-Brauns, zwei Stunden warten, bevor sie zur Diskussionsrunde erschien. Es folgten ein paar entschuldigende Worte, mehr nicht. „Es haben wichtige finanzielle Beratungen stattgefunden, die meine Anwesenheit im Abgeordnetenhaus nötig machten.“ Sorry. „Worüber reden wir jetzt?“

Am meisten rede sie derzeit über Geld, klagt die Senatorin, über Kultur weniger. Für die Theater- und Kunstszene klingt das beängstigend, ist doch klar, die Frau sondiert die betriebswirtschaftliche Lage, bevor sie losschlägt. Andere sehen das weniger sorgenvoll: „Thobens Regierungszeit hat noch gar nicht begonnen“, meint Ivan Nagel, Ex-Intendant. Diese beginne erst nach den Haushaltsberatungen, wenn sie – vielleicht – „den Rücken für Entscheidungen“ frei hat.

Einstweilen hat sie weder den Rücken frei noch genügend Profil bewiesen, der Berliner Kultur konkrete Perspektiven und Aufgaben aufzeigen. Nicht blass, sondern fremd ist Thoben der Szene bislang geblieben. Das liegt daran, dass sie mehr die Rolle der Krisenmanagerin als die der Visionärin zu spielen hat. „Ganz so, wie sie jetzt aufbrechen, habe ich mir die Wucht der Finanzprobleme nicht vorgestellt“, sagt sie.

Zugleich ist es schon immer ihre Strategie gewesen, pragmatisch die Dinge anzugehen. Die 58-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin aus Westfalen hatte bereits in der Vergangenheit ihre Karrieren mit kühlem Kopf begonnen: erst als junge Finanzexpertin im Düsseldorfer NRW-Landtag, die 1987 für den CDU-Landesvorsitz kandidierte – aber scheiterte. Dann als Staatssekretärin im Bundesbauministerium, die unter Klaus Töpfer perfekt den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin organisierte. Schließlich als arbeitsames CDU-Mitglied, das heute im CDU-Präsidium einen Sitz hat. Jetzt in Berlin gibt sich „die Macherin“ erst einmal defensiv. Glaubt man an das Gesetz der Serie, wird sie bald aus der Deckung kommen.

Andeutungen dazu hat Thoben in den ersten Wochen ihrer Amtszeit gegeben, praktizieren konnte sie – logischerweise – wenig. Immerhin steht für Thoben fest, dass der Bund und das Land die Finanzierung der Hauptstadtkultur neu regeln müssen. Strukturreformen für die staatlichen Bühnen stehen ebenfalls auf dem Programm. Mit Verve macht die Kultursenatorin sich stark für Fusionen von Tanzensembles und Orchester. Attacken fährt Thoben auch in Richtung Theater. Die Bühnen sollen Wege zu Einsparungen im Personalbereich und der Technik prüfen: Ausgründungen und betriebsbedingte Kündigungen inbegiffen. Als „Zeit der Prüfungen“, analysierte die Kulturjounalistin Katrin Bettina Müller den derzeitigen Zustand zwischen dem Land, dem Bund, der Senatorin und den Künstlern. Christa Thoben wird auf dem nicht verharren wollen. „Wir fangen damit an“, Entscheidungen werden folgen.

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