piwik no script img

DIE ENTSCHEIDUNG FÜR PUTIN IST KEINE ABSAGE AN DIE DEMOKRATIEFaust und Freiheit

Russland hat gewählt und damit unter Beweis gestellt, dass es die Lektionen der formalen Demokratie beherrscht. Der als Machttransfer getarnte Machterhalt der alten konzeptionslosen Elite hat reibungslos geklappt. Mit der Wahl von Wladimir Putin und einem kommunistischen Stimmenanteil von einem Drittel haben die Russen nicht nur ihrem sozialen Unwohlsein Luft gemacht, sie haben sich auch für eine paternalistische Gangart entschieden, die durchaus autoritäre Momente enthalten kann. Aber nicht muss.

Das historische Gedächtnis kennt Freiheit und Marktwirtschaft erst seit zehn Jahren. Daher verläuft die Transformation in Russland schwieriger als in Osteuropa. Moskau ringt mit tausend Jahren autoritärer Gängelung. Nach jahrhundertelanger Identifikation mit dem Reich keine leichte Aufgabe. Der Tschetschenienkrieg offenbart die menschenverachtende Seite dieses Prozesses. Dennoch mag der Patriotismus Putins am Ende dazu führen, dass sich die Russen mit dem nationalen Staatsgebilde abfinden. Ein Widerspruch nur auf den ersten Blick. Russland ist eine vormoderne Gesellschaft, die in Asien und Europa liegt. Der Westen weigerte sich lange, das anzuerkennen. Schon Gorbatschows „Revolution von oben“ blockierte die Entwicklung einer Gesellschaft, die ihre Interessen selbst in die Hand genommen hätte. Die Trennung von Staat und Gesellschaft sowie das Misstrauen des Bürgers gegenüber der Macht wurden in der Zeit des Umbruchs nicht überwunden.

Russland ist anders. Die Bürger fordern einen starken Staat, der für Ordnung sorgt, möchten aber nicht auf die politischen und liberalen Freiheiten der letzten Jahre verzichten. Meinungs- und Reisefreiheit und selbstständiges Wirtschaften sind im Bewusstsein eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung fest verankerte Werte. Während die universalen Menschenrechte der Mehrheit noch suspekt sind. Russland aufzugeben wäre ungerecht. Die Entscheidung für Putin ist kein Votum gegen die Demokratie, sie könnte aber als solches missbraucht werden. Die Gefahr besteht. Russlands Joch. KLAUS-HELGE DONATH

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen