: Gewinnverzicht unter der Dusche
Im April soll Deutschlands erster Internet-Fernsehsender starten – mit täglich knapp 30 Minuten Nachrichten und reichlich bezahlten PR-Beiträgen. Bildqualität, Finanzierung und journalistische Kompetenz sind noch stark entwicklungsbedürftig
von KONRAD LISCHKA
Eine Stunde Pressekonferenz des 1. FC Bayern München, eine Minute Konzertmitschnitt der Pet Shop Boys und stundenlange Liveübertragung vom „Prochrist“-Kongress in Hamburg: Im Fernsehen würde sich das niemand ansehen – im Internet schon, hofft Deutschlands erster Internet-Fernsehsender. Das momentan noch etwas schmalbrüstige Angebot soll bis Ende April zum Vollprogramm im Netz werden: täglich Nachrichtenbeiträge, das Magazin „Hollywood-Reporter“ und dazu ein paar Highlights wie ein Videochat mit dem Bundespräsidenten.
Tv1.de hat alles, was zu einem jungen Internetunternehmen gehört: Der Firmensitz ist ein frischer, weißer Zweistöcker mit verglaster Eingangsfront im Hinterland des Münchener Flughafens, der Unternehmensgründer Michael Westphal (34) kommt im Dreiteiler, der Mitgründer und Technikchef Johann Soukup (33) hingegen im Rolli. Und die Bilanzen sind im Minus. „Im mittelschweren“, wie Westphal wenig konkretisiert.
Marktführer im Netz
Dabei ist das Mitte 1999 gegründete Unternehmen bereits Marktführer. Nicht im Journalismus, eher in der Werbung: Tv1.de hat bereits Pressekonferenzen für IBM, AOL und Motorola, den Börsengang von Intershop und den Wahlkampfauftakt der CDU live ins Netz übertragen. Die Münchener verantworten ebenfalls die 24 Kameras, die aus dem „Big Brother“-Haus auf die Webseite senden. Das bescherte dem Sender im Vorjahr einen schmalen Gewinn von 150.000 Mark.
Um die Gewinne für dieses Jahr ist es geschehen. Unter der Dusche. Da hatte Michael Westphal eine Vision: „Ich wollte immer meinen eigenen Fernsehsender, warum nicht im Internet.“ Als Medienprofi weisen den 34jährige neben den zurückgegelten Haarlocken überm feinen Zwirn auch die Jahre als Gag-Autor für RTL Samstag Nacht und seine Vergangenheit als Videoclipproduzent aus. Nebenbei gründete er die erste Mitflugzentrale der Welt.
Westphal will Geld verdienen. Mit Gags, Mitfliegern, Werbung oder eben auch Nachrichten. Das Ziel von Tv1.de ist nicht harter Journalismus. Die bisherigen Aufträge à la „Prochrist“-Kongress sind reine PR und machen im Moment den größten Teil des Angebotes von Tv1.de aus. Viel mehr ist nicht drin bei einer kleinen Internetfirma, die trotz großer Hoffnungen die Verluste möglichst gering halten muss. Westphals Pläne sind für so ein Unternehmen ehrgeizig, für einen Fernsehsender aber eher bescheiden. Momentan hat der Sender 20 Beschäftigten, davon gerade mal zwei Redakteure.
Bis Ende April sollen vier dazukommen, bis Jahresende 20 die 280 Quadratmeter große Redaktion füllen. Die Bewerber kommen vor allem von Stadtmagazinen, nur wenige sind aus dem TV-Bereich. Von Redakteuren mit solchen Qualifikationen ist kein Fernsehjournalismus in „Monitor“ oder auch nur „Newsmaker“- Qualität zu erwarten.
Wird auch nicht. Das Programm von Tv1.de soll aus täglich bis zu 16 Beiträgen Inlands- und Auslandsnachrichten bestehen – Länge eine Minute dreißig. Die Redakteure kaufen das Bildmaterial von Nachrichtenagenturen oder freien Produktionsfirmen, schneiden, vertonen und stellen es ins Netz. Das war’s. Dazu gibt es allerlei technische Spielereien, wie das eigene Studio, indem die Moderatoren die Kameras selbst per Fernbedienung steuern – und sogar einen virtuellen Moderator.
Selbst produziert werden Interviews und Livechats mit Politikern. Edmund Stoiber, Friedrich Merz, Jürgen Trittin und Guido Westerwelle waren bereits da, Johannes Rau steht noch auf der Gästeliste.Ein Höhepunkt: Westerwelles Zucken, als einChatter wissen will, was er denn so verdient – 16.000 Mark im Monat.
Interaktiv und aktuell
Am Computer fernsehen soll man laut Westphal wegen Interaktivität und Geschwindigkeit: „Wir haben in spätestens 30 Minuten die Beiträge online.“ Nachrecherchieren kann man Geschichten in einer halben Stunde kaum. Aber das hat Stern-TV ja bei Michael Born auch nicht geschafft, obwohl tagelang Zeit war.
Doch neben der journalistischen Qualität hat Internet-Fernsehen zwei weitere große Probleme. Zum einen die Technik: Die Softwarefirma Real Networks rechnet mit einem Videobild-Qualität übers Internet erst in zwei bis drei Jahren. Mit einem Standardmodem sind heute über die Telefonleitung 20 Bilder pro Sekunde drin – vom Format nicht einmal so groß wie eine Scheckkarte.
Zudem können höchstens 20.000 Menschen gleichzeitig dieselbe Liveübertragung im Netz betrachten. Darüber, „Big Brother“ zeigt auch dies täglich, droht der Absturz – oder man kommt schlicht nicht mehr ins Online-Liveangebot hinein. Denn anders als beim Fernsehen wird an alle zugleich gesendet, sondern dasselbe Signal extra an jeden einzelnen.
Linderung können da bloß neue Übertragungstechniken wie Multicasting und größere Bandbreiten der Telefonnetze schaffen. Es gibt aber auch Firmen wie Microsofts Web TV, die über eine spezielle Set-Top-Box den PC übers breite Fernsehkabel ans Internet hängen.
Doch hier gibt es das gleiche Problem wie bei zu Internet-Empfängern aufgemotzten Fernsehern: Es fehlt ein einheitlicher Standard. Noch lange kann nicht jede Set-Top-Box jede Internetseite darstellen. Deshalb glaubt Tv1.de-Chef Westphal auch ans Fernsehen übers Web: „Offene Standards setzten sich letztendlich immer durch.“
Wenn da nicht das zweite Problem des Web-Fernsehens wäre: die Finanzierung. Bisher bezahlen bei Tv1.de Firmen und Organisationen die Sendeformate, in denen sie Thema sind. Geringes Kapital bedeute geringe journalistische Qualität. Westphal gibt offen zu: „Klar werden wir für Pressekonferenzen und Dokumentationen bezahlt“. Langfristig soll – dann auch als solche gekennzeichnete – Werbung 70 Prozent der Einnahmen ausmachen. Zwar werden die Ausgaben für Werbung im Internet in den kommenden Jahren rasant steigen, ob Tv1.de mit seinen gerade mal zwei Millionen Page-Impressions pro Monat viel vom Kuchen abbekommt, darf bezweifelt werden.
Investor gesucht
So wird sich der Sender entweder weiter über die wenig journalistischen Auftragsarbeiten quersubventionieren, oder er muss einen potenten Investor finden. Die amerikanischen Netzsender mit wirklich umfassendem Angebot wie exbtv.com (Liveübertragung politischer Debatten, Analysen, Kommentare) und aetv.com (Comedy, Filme, Dokumentationen) existieren aufgrund gütlicher Beteiligungen großer Unternehmen, denen die finanzschwachen Internetfirmen so das nötige Know-how in Sachen neuer Technik. Auch Tv1.de spricht schon jetzt – vor Sendebeginn – Gespräche mit Unternehmen, die „ein großes Archiv, eine starke Reichweite und das nötige Geld“ haben.
Vielleicht ist Westphal wirklich der einzige, der sich die 13 Stunden „Prochrist“– Fernsehclips auf seinem Server anschaut, Abend für Abend mit zittrigen Händen eine Stunde „Unbegrenzte Möglichkeiten. Wie kann unser Leben gelingen?“ und dann noch eine „Grenzenlose Kommunikation. Wer reißt die unsichtbaren Mauern ein?“.
Bei den Christen steht am Ende „Gottes grenzenlose Liebe“. Bei Westphal hoffentlich die eines Investors.
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