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Widerspruch bleibt Recht?

Der Senatsplan zur Streichung des Widerspruchsrechts gegen die Ausländerbehördehält einer Anhörung nicht stand. Prüfung folgt

von JULIA NAUMANN

Wenn ein Türke, der in Berlin aufgewachsen ist, ausgewiesen werden soll, weil er sich strafbar gemacht hat, dann kann er gegen diese ausländerbehördliche Anordnung bei der Behörde selbst Widerspruch einlegen. Bisher.

Mit dem „Fünften Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung“, das der Senat auf den Weg gebracht hat, soll das anders werden. Das Widerspruchsrecht steht zur Disposition.

Gestern wurde die Senatsvorlage im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses debattiert. Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken hatte das Parlament den Ausschuss beauftragt, eine Anhörung mit Richtern und Anwälten zum Thema auszurichten.

Der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts, Volker Markworth, erklärte, er befürchte eine „Häufung von Klageverfahren“. Falle das Widerspruchsrecht weg, würden die Betroffenen sofort vor das Verwaltungsgericht ziehen. Vielleicht würde die Ausländerbehörde etwas Personal sparen, merkte Markworth an, jedoch nicht die Gerichte. Durch vermehrte Klagen würden die Richter noch stärker belastet, und diese seien bekanntlich teurer als Sachbearbeiter der Behörde. Der Vizepräsident wies daraufhin, dass es allein 1997 15.441 Klagen von Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien vor dem Verwaltungsgericht gegeben habe.

Der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Percy Mac Lean sprach verfassungsbedenkliche Bedenken an. So gebe es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1973, in der eine Abschaffung des Widerspruchs genau geregelt sei. Auch wenn nur 1,5 Prozent der mehr als 12.000 jährlich eingelegten Widersprüche stattgegeben werde, hieße das nicht, dass Widerspruchsverfahren überflüssig seien. Mac Lean forderte mehr Personal, denn die Sachbearbeiter seien „völlig überfordert“.

Justizstaatssekretär Diethard Rauskolb (CDU) merkte nach der Anhörung an, dass die Bedenken der Richter und Anwälte nicht „stichhaltig“ seien. Er sieht keinen Grund zum Rückzug. Grüne und PDS lehnen das Gesetz ab. Der rechtspolitische Sprecher der SPD, Klaus-Uwe Benneter, sagte, dass es wohl mit dem Gesetz „keine Entlastung und Verfahrenserleichterung“ geben werde. Der Rechtsauschuss beschloss, ein Gutachten vom wissenschaftlichen Dienst des Parlaments anzufordern. Danach solle über das Gesetz neu entschieden werden. Die Stimmen der SPD werden dabei entscheidend sein.

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