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Schüler geben Politikern Nachhilfe

Als Lehrerstreik war der gestrige Tag geplant, als Aktionstag zehntausender Schüler fand er statt. Mit Erfolg: Über Bildungspolitik reden nicht mehr nur der Schulsenator und die Gewerkschaftsfunktionäre. Dennoch werden die Abgeordneten heute für Arbeitszeiterhöhung an Schulen stimmen

von JULIA NAUMANN

Die Schüler beherrschten gestern die Straße. „Böger ist ein Betröger“, heißt es auf selbst gemalten Transparenten. „Wir wollen besser lernen“, steht auf Pappschildern. Und die Schüler des Charles-Darwin-Gymnasiums in Mitte rufen in einem Flugblatt gar zur Besetzung der Schulverwaltung auf. Der Lehrerstreik war hauptsächlich Schülerstreik: Zwei Drittel der Teilnehmer der Demonstration vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor waren Kinder und Jugendliche.

Der gestrige Tag wurde zu einem stadtweiten Happenig für Schüler und Lehrer. An 70 Prozent der rund 1.000 Schulen, so die Schätzungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), nahmen Lehrer und Schüler an Streikaktionen vor und in den Schulen teil. Bei der Demonstration marschierten nach GEW-Angaben 60.000 Menschen mit. Die Polizei sprach von 45.000.

Für die Schüler war der Schulstreik identitätsstiftend. „Wir haben uns wegen des Streiks sehr viel mit der Bildungsmisere auseinandergesetzt“, sagte die 15-jährige Marie aus Pankow, die mit einem „McBöger“-Plakat zur Demo kam. „Ich will was tun, ich will nicht zur Idiotin ausgebildet werden.“ Für viele war es die erste politische Aktion überhaupt. Dass dennoch einige den Tag nutzten, um zu Hause zu bleiben, hat seinen Grund: „Wir können ja sowieso nichts ändern“, sagte der 13-jährige Claus aus Lichtenberg.

Mit welcher Beteiligung die Lehrer in den einzelnen Bezirken streikten, war gestern noch unklar. Zahlen gab es von der GEW lediglich über Schöneberg. Dort beteiligten sich 14 von 18 Grundschulen, alle 3 Hauptschulen und 2 von 4 Gymnasien. Nur die beiden Realschulen machten nicht mit. „Die Ostbezirke haben sich wesentlich weniger beteiligt“, sagte der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne. Ein Grund sei, dass viele Grundschullehrer dort noch in der Probezeit seien oder befürchteten, wegen des Streiks nicht befördert zu werden.

Wie viele Lehrer tatsächlich wie lange den Unterricht boykottieten, war gestern ebenfalls nicht auszumachen. Aus der Schulverwaltung wurde verlautbart, dass an der „Mehrheit der Schulen regulärer Unterricht stattgefunden“ habe.

Der Protest richtete sich nicht nur gegen die Arbeitzeiterhöhung um eine Stunde. Viele LehrerInnen, die sich morgens mit Transparenten und Flugblättern vor ihre Schule stellten, ging es nicht nur um die Verschlechterung ihrer persönlichen Situation, sondern um ein grundsätzliches Umdenken in der Schulpolitik: So wie der Geschichtslehrer Dieter Karberg vom Käthe-Kollwitz-Gymnasium in Prenzlauer Berg antworteten viele: „Die Stunde Mehrarbeit ist schlimm, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs.“ Wenn immer häufiger Unterricht ausfalle, weil die Lehrer überaltert seien, und kein schneller Ersatz gefunden werde, dann sei das nicht mehr hinnehmbar. Teilungs-und Integrationsstunden seien nicht mehr durchführbar, Schulbücher und Lehrmittel veraltet. Die Zukunft der Jugend sei gefährdet. Das sieht auch Günter Hidden vom Oberstufenzentrum Maschinen-und Fertigungsbau so. „Wir waren Mitte der 80er-Jahre eine sehr modern eingerichtete Schule. Jetzt sind wir auf dem Weg ins Technikmuseum.“

Dass an der Arbeitszeiterhöhung nicht mehr zu rütteln ist, war den Streikenden bewusst. Dennoch gelang es ihnen mit ihrem bunten Protestaktionen – selbst geschriebenen Flugblättern, Verkleidungen und Transparenten –, ein deutliches Zeichen zu setzen. „Mit diesem Tag wollen wir unseren Unmut dokumentieren“, sagte Grundschullehrerin Monika Hein. Schlimm sei es, alles „von oben hinzunehmen und gar nichts zu tun“. Einige Lehrer kritisierten, dass die GEW den Streik nicht schon viel früher angesetzt hatte. „So sieht es so aus, als ginge es nur um uns Lehrer“, sagte einer.

Der gestrige Streik scheint die Schulverwaltung jedoch nicht im Geringsten beeindruckt zu haben. „Wir bleiben dabei, dass dieser Streik völlig ungeeignet ist, um die Zukunft der Schulen zu verändern“, sagt der Sprecher von Schulsenator Klaus Böger, Thomas John. Die zusätzliche Unterrichtstunde werde definitiv kommen. Darüber wird heute bei den endgültigen Haushaltsberatungen im Abgeordnetenhaus abgestimmt.

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