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Dünne Luft in den Politikerhirnen

Bei Italiens Regionalwahl am Wochenende ist die Aufgeregtheit der Parteiführer etwa so groß wie das Desinteresse der Bürger. Die Chefs von Links und Rechts haben sich dazu noch allerlei merkwürdige Bündnispartner gesucht

aus Rom MICHAEL BRAUN

Darf man Ministerpräsident Massimo D’Alema und Oppositionsführer Silvio Berlusconi glauben, muss sich Italien Montag früh auf ein böses Erwachen gefasst machen. Zwar geht es beim Urnengang am Sonntag eigentlich nur um die Wahl der Parlamente und Präsidenten von 15 der 20 Regionen des Landes. Den Politikern zufolge aber steht wieder einmal die Zukunft des Landes auf dem Spiel. Ein „Italien des Hasses“, eine „rote Diktatur“ sieht Berlusconi im Falle eines Wahlsiegs der Linken heraufziehen; D’Alema kontert mit der Warnung vor einem von den Regionen ausgehenden kalten Staatsstreich.

So wenig die Frontmänner der beiden Lager an ihre eigenen Schreckensgemälde glauben, ein Resultat haben sie erreicht: Regionalfragen spielten im gestern beendeten Wahlkampf keinerlei Rolle. Stattdessen sind Italiens 43 Millionen Wählerinnen und Wähler zu einer nationalen Testwahl über das Schicksal der Regierung aufgerufen. Vor allem Berlusconi setzt, ermutigt durch den Sieg seiner Privatpartei Forza Italia bei den Europawahlen 1999 und durch konstant gute Umfrageergebnisse, auf die Umfunktionierung des Urnengangs in einen nationalen Showdown mit D’Alema. Der hält zwar müde dagegen, am Sonntag gehe es nur um die Regionen. Faktisch aber dementiert er sich selbst. Er tourte wochenlang durchs ganze Land und bestritt die ganze Kampagne mit den Regierungserfolgen, mit dem sich abzeichnenden Aufschwung des Landes, mit der Warnung vor dem Risiko von rechts. D’Alema weiß: Ein ordentliches Wahlergebnis könnte die Gegner in der eigenen Koalition zum Schweigen bringen, die seit Monaten seine Ablösung spätestens beim nächsten nationalen Urnengang im April 2001 betreiben.

Dennoch ist das Wahlvolk eher verwirrt. Erneut muss es zwischen Allianzen wählen, die sich in der Vergangenheit als allzu brüchig erwiesen haben. Vor allem Silvio Berlusconi ist jeder Partner recht. Im Süden nahm er die faschistische Partei Movimento Sociale mit ins Boot, im Norden die sezessionistische Lega Nord des Haider-Freundes Umberto Bossi – jenes Bossi, der 1994 Berlusconis Regierung platzen ließ und in den Folgejahren den Forza-Italia-Chef immer wieder als Mann der Mafia schmähte. Es bleibt abzuwarten, ob die beiden mehr eint als das jetzt mitten im Wahlkampf lancierte Volksbegehren für ein verschärftes Ausländergesetz.

Doch D’Alemas Linksdemokraten haben nur schwache Gegenargumente: Sie selbst umwarben immer wieder die Lega Nord und präsentieren sich jetzt im Verein mit den feindlichen Brüdern der Rifondazione Comunista, die 1998 mit ihrem Wechsel in die Opposition Ministerpräsident Prodi stürzte. Und es blieb Massimo D’Alema überlassen, in letzter Minute noch ein Bündnisangebot an Emma Boninos Radikale Partei zu lancieren, unbeeindruckt davon, dass die Radikalen (9 Prozent der Wählerschaft bei den letzten Europawahlen) für ein ultraliberales Programm der Schleifung des Sozialstaats stehen.

So eint beide Blöcke der Wille zum Sieg – und die Furcht, dass am Sonntag eine dritte Kraft den Ausschlag geben könnte: die in den letzten Jahren rapide anschwellende Partei der Nichtwähler.

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