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Zofen im Reagenzglas

Erst wollte Laurent Chétouane Moleküle mischen, jetzt sind es Worte und Gesten. In Wiesbaden inszeniert der junge Franzose zum ersten Mal an einem Stadttheater

von MORTEN KANTSTEINER

Solange schäumt. Speichel läuft ihr cremig das Kinn hinunter. Sie schäumt vor Wut und Lust, und doch kommt ihr Ausbruch nicht aus der Tiefe der Psyche, sondern entspringt der Oberfläche der Worte. Solange wird in Rage geredet. Sie zuckt unter Beschimpfungen, die Claire auf ihren Wunsch hin erfindet. Genets Zofen zelebrieren ein Rollenspiel. Claire ist auf die Position der Herrin geschlüpft: „Ich hasse Domestiken. Sie zerfließen.“ Die Versuchsanordnung, die den Speichel fließen lässt, hat ein Chemiker installiert. Laurent Chétouane, der die „Zofen“ im Studio des Theaters in Wiesbaden inszeniert hat, ist Diplomingenieur. Die Aufführung hat die Präzision eines Experiments. Bewegungen laufen meist geometrisch ab, Worte fallen in abgemessenen Mengen. Alles unter Kontrolle - und dann treten doch überraschende Reaktionen auf, ekstatische wie elegante.

Eigentlich sollte Chétouane die Produktion teurer Stoffe optimieren, wie man sie für Medikamente oder Parfums braucht. Er hat an einer französischen Eliteschule studiert, eine hübsche Karriere in der Industrie war ihm sicher. Aber kurz vor seinem Abschluss, als er zwei Auslandssemester im Ruhrgebiet verbrachte, überlegte er es sich anders. Im Bochumer Schauspielhaus, nach Theaterabenden von Karin Henkel und Leander Haußmann entschied er: Menschen statt Moleküle. Er nahm sich vor, Regisseur zu werden.

Nach einem Jahr Theaterwissenschaften an der Sorbonne nahm ihn Hans Hollmann in seine Regieklasse in Frankfurt auf. Gleich die erste Arbeit, die der Regiestudent mit Schauspielschülern umsetzte, zog Aufmerksamkeit auf sich: Mit „Phädras Liebe“ von Sarah Kane gewannen die Frankfurter einen Ensemblepreis beim Treffen der Schauspielschulen. Bald darauf bot Jens Daniel Herzog dem Regieschüler an, ab der kommenden Saison in Mannheim zu inszenieren.

Schon in „Phädras Liebe“ zeigte Chétouane einen Willen zur präzisen Form. Selbst Kane, die andere auf Blut-und-Sperma-Realismus reduzieren, darf bei ihm künstlich sein. Das schafft Freiheit für große Gesten und geschmeidige Bewegungen, die nicht nur gefällig sind, sondern feinen Verschiebungen in den Beziehungen der Figuren entsprechen. Lange Pausen signalisieren: Keine Konvention garantiert den Fortgang der Dinge. Allein der Umstand, dass eine Geste geschieht, kann hier ein Gewicht bekommen, das sich mit Theaterblut kaum erreichen lässt.

Trotzdem: Eher reizen Chétouane Texte, die sich gegen die Bühne sperren. So wie Genets „Zofen“, ein Stück, das disparate Gedanken und Wirklichkeiten aneinander stoßen lässt. Zudem thematisiert Genet selbst die Kraft von Pose und Poesie, die für Chétouanes Chemie entscheidend ist. Wenn Solange den Mord an ihrer Herrin heraufbeschwört und Claire deren Güte imitiert, wissen beide: Von Wortwahl und Gebärden hängt alles ab. InWiesbaden muss sich sogar die gnädige Frau stilisieren (Ragna Pitoll), um ihre Rolle auszufüllen.

Alle drei Figuren starren immer wieder ins Dunkel abseits der Bühne. In der Ferne scheinen sie die Phantasmen zu sehen, denen sie die Gesten abschauen: die Heilige und die große Verbrecherin. Schön ist ihr Spiel – und gefährlich: Das lässt der Körper von Sascha Icks spüren, wenn er zuckt und fließt, und ihre Stimme, die ihre Farbe wechselt. Oder die strahlende Gelassenheit von Evelyn M. Faber, wenn ihre Claire den vergifteten Tee trinkt, der für die gnädige Frau bestimmt war. Auf der Suche nach widerständigen Texten holt Laurent Chétouane jetzt noch weiter aus. Seneca hat er sich für die Inszenierung ausgesucht, mit der er nächstes Jahr die Regieschule abschließt. Und dann sieht wieder alles nach einer hübschen Karriere aus.

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