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Hunger nach Alltag

Das Berliner Museum für Gegenwart sucht seine Rolle in der Stadt.Die Reihe „Werk Raum“ schlägt nun eine Brücke zur Galerieszene

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Was erwarten Sie von einer Telefonzelle mitten in New York? Schnittblumen und einen Stuhl, Tee, Chips und Zeitungen ganz sicher nicht. Abhörgeräte schon eher. Mit diesen Requisiten hat Sophie Calle eine Zelle in Manhattan für einige Tage in einen Ort von zweifelhafter Heimeligkeit verwandelt. Man konnte von allem Gebrauch machen. Manche dachten, ein Obdachloser hätte sich hier eingerichtet.

Die Zelle war aber Teil eines Kunstprojekts, zu dem der Schriftsteller Paul Auster die französische Künstlerin angeregt hat. Auster hat in seinen literarischen Figuren öfters von ihren Konzepten des detektivischen Rollenspiels profitiert. Als Gegenleistung schrieb er ihr einige „Personal Instructions. How to improve life in New York City“. Fremde anzulächeln und Sandwichs an Obdachlose zu verteilen gehörte ebenso zum Programm wie „Cultivating a spot“. Die Erfüllung der Aufgaben, die gegen die Vorsichtsregeln der Anonymität und die rauhe Zurückweisung des Fremden verstoßen, beschreibt Sophie Calle im „Gotham Handbook“ mit Fotos und Notizen wie in einem kriminalistischen Protokoll. Denn wer Fremde anlächelt, macht sich verdächtig.

Die Übung „Cultivating a spot“ würde man gerne der Leitung des Museums für Gegenwart in Berlins Hamburger Bahnhof empfehlen, wo das „Gotham Handbook“ zur Zeit ausgestellt wird. Auch vier Jahre nach der Eröffnung fehlt dem Museum die Lebendigkeit eines kulturellen Zentrums, wie sie das Centre Pompidou in Paris oder das Barbican Art Center in London auszeichnet. Das Versprechen des Anfangs, Film, Fotografie, neue Medien, Performance und Kunst in einen Dialog zu bringen, wird nur tröpfchenweise eingelöst.

Hier geht man nicht einfach hin, um zu gucken, was los ist, sondern nur gezielt in Ausstellungen. Einzig in der Buchhandlung von Walther König wuseln Besucher, zufrieden und neugierig auf den Zufallsfund. Das Café dagegen kultiviert den Charme einer zugigen Wartehalle. Selbst die Brötchen sehen verlassen aus, die Besucher verloren in einer zu großen Architektur. Es gibt keine Intimität in diesem ehemaligen Bahnhof, den Josef Paul Kleihues zum Museum umbaute: Die große Geste des wilhelminischen Ursprungs der Architektur verschmilzt so perfekt mit den Gesetzen des White Cube, dem reinen und ungestörten Betrachtungsraum der Kunst, dass die Welt ausgesperrt bleibt. Zeitgenössische Kunst aber entsteht oft als Antwort auf die Störung.

So leistet die architektonische Hülle der Entrückung ins Zeitlose Vorschub. Dort sind die Hausheiligen Joseph Beuys und Anselm Kiefer so gut eingelagert, dass kein Umarrangieren des Materials einen beim zweiten oder dritten Museumsbesuch noch mal zu ihnen lockt. Ein Skultpurenfeld von Walter de Maria, bis August unter dem Dach der großen Halle ausgebreitet, verstärkt den Hang ins Monumentale und Ewige.

Wer Kunst im schnellen Wechsel und als Teil der Stadt erfahren will, muss vom Museum einige Straßen weiterziehen, in die Galerien, Kunstvereine und Kneipen. Diesem Ungleichgewicht versuchen die Kuratoren Eugen Blume und Jörg Makarinus jetzt mit der Reihe „Werk Raum“ entgegenzuarbeiten, die „schnell und unkonventionell auf interessante Haltungen reagieren“ will. In der ersten Runde arbeiten sie mit gleich drei Galerien zusammen. Man sagt es zwar nicht laut, hofft aber sicher doch, mit einem solchen Ausstellungsangebot das Murren der Berliner Kunstszene über die Langsamkeit des Museums einzudämmen.

Neben Sophie Calle werden der Züricher Rémy Markowitsch und das Duo Teresa Hubbard und Alexander Birchler vorgestellt. Alle drei nutzen Fotografie und spielen mit Inszenierungen, um die Grenze zwischen Realität und Kunst auf immer neuen Wegen zu überqueren. Kompliziert ist die Installation von Rémy Markowitsch, der mit Videos, Bildteppich und Fotos den Weg des Readymade noch einmal zurückgeht. Er sucht nicht das Vorgefertigte, sondern das Handgemachte, um sich im Alltag über das Hier und Jetzt des Lebens zu vergewissern – und sei es mit gekochten Schweinsfüßchen. Dieser Hunger nach Alltag wächst mit der Größe der Installationen und ihrer Ausbreitung im Kunstreservat.

In drei Serien großformatiger Fotos tauchen Hubbard/Birchler in die Welt des Kinos mit fast nostalgischer Attitüde ein. Sie haben die Fassaden geschlossener Kinos fotografiert, mit leeren Schaukästen, erloschenen Lichtern, verrammelten Türen. In anderen Fotos stellen sie das Ende der Vorführung nach und setzen hinter den Kulissen fort, was man immer davor erwartet. Dem Abschied vom Arsenal, dem filmhistorischen Kino von Berlin, das vor einigen Wochen an den Potsdamer Platz umgezogen ist, gilt die Serie „Arsenal. 2000“. Jahrzehntelang umgab dort eine spezifische Mischung von Kompetenz und Muff die Berliner Universalgelehrten des Films. Weniger Glamour war unvorstellbar. In Hubbard und Birchlers Bildern wird dieser spartanische Rahmen selbst zur Requisite: Hier sitzt eine junge Frau zwischen Filmkisten und Projektoren und starrt verloren auf viele Meter Zelluloid, die sie nie wieder ohne Kratzer aufgespult bekommen wird – der Horror für jeden Filmvorführer. So wird aus dem Umzug des Kinos der Abschied von einer Epoche, in der man jeden Tag das Chaos überleben lernte. Etwas von diesem Geist wünscht man auch dem Museum.

Werk Raum 1: Ausstellung bis zum 9. 7. im Museum für Gegenwart, Hamburger Bahnhof, Berlin

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