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Die Freiheit unter den Schleiern

Das Lichtmesz-Kino zeigt eine Reihe mit neueren „Filmen aus dem Iran“  ■ Von Tobias Nagl

Armut macht erfinderisch, sagt man. Zensur auch, mag der halbwegs bewanderte Cineast mit Blick auf das iranische Kino hinzufügen. Und viele Charakteristika des neuen iranischen Films verdanken sich tatsächlich der strengen Ägide der Mullahs und dem dadurch beförderten Hang zum ideologischen Schmugglerwesen: eine Vorliebe für kindlich-allegorische Perspektiven etwa, oder ein im westlichen Kino längst verschütt gegangener Hang zur narrativen Offenheit.

Aber eben nicht alle: Wenn bei Kiarostami immer wieder der Prozeßss des Filmens reflexiv in den Film einbricht oder der Illusionismus des Kinos befragt wird, dann ist das die Handschrift eines avantgardistischen auteurs, der nur um den Preis gewaltiger ethnozentrischer Verkürzungen allein als Opfer seiner Umstände sich verstehen lässt. Und auch vor der Gründung der die gesamte iranische Produktion kontrollierenden Farabi Film Foundation 1983 gab es ein Kino, das den heutigen iranischen Filmen nicht unähnlich ist: sowohl in der Verabscheuung „bourgeoiser Dekadenz“ wie in der Bewunderung für den Minimalismus des italienischen Neorealismus.

Im Lichtmesz bietet sich nun dienstags die Möglichkeit einer kleinen Bestandsaufnahme. Den Auftakt macht Rafi Pitts Familienkomödie Die fünfte Jahreszeit, ein insofern untypisches Beispiel, als der Film in französisch-iranischer Koproduktion gedreht und auch im Iran prompt ob seiner „Freizügigkeit“ verboten wurde. Dabei geht es um eine uralte Familienfehde, die durch eine Hochzeit beigelegt werden soll, dann aber erst recht durch den Krieg zweier Busunternehmer eskaliert – und dabei nicht nur von Liebe und Versöhnung, sondern auch von der Selbstbefreiung einer jungen Frau erzählt.

Die typisch kindlichen Protagonisten finden sich dagegen in den übrigen Filmen. Bahram Beyzaies Bashu, der kleine Fremde spricht durch den zehnjährigen Bashu über die Auswirkungen des iranisch-irakischen Kriegs auf die Dorfbevölkerung. Und Abbas Kiarostami verpackt seine Autoritätskritik in Wo ist das Haus meines Freundes?, dem ersten Teil seiner „Erdbeben“-Trilogie, in eine Schülerposse, die filmisch und existenziell so viele Fragen aufwirft, wie sie scheinbar beantwortet. Das wiederum teilt sie mit Amir Naderis wundervollem Der Läufer, der seinen poetischen Alltagsrealismus in einem verstörend surrealen Ende überhöht und dabei virtuos ein Versprechen auslegt, von dem ein Großteil des iranische Kino kündet: der Freiheit des neugierigen Zuschauerblicks gegenüber jedem Apparat.

Die fünfte Jahreszeit: Di, 9.5.; Bashu, der kleine Fremde:Di, 16.5.; Wo ist das Haus meines Freundes?:Di, 23.5.; Der Läufer:Di, 30.5.;Lichtmesz, Gaußstraße 25, jeweils 20 Uhr

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