: Verkleidete Songs
Das Ohr am Gesamtkunstwerk und modemäßig ungefähr San Francisco 1900: Bob Dylan stellt bei seinem Tourneeauftakt in Stuttgart entschlossen alle seine Schwächen aus
von ULF ERDMANN ZIEGLER
Wir kennen von ihm die arme Fassung, wie er dasteht in Blue Jeans, den Kopf wegdreht und das Lied raushaut. Für die neue Tournee hat Bob Dylan die vornehme Fassung gewählt, gekleidet in einen weißen Tuxedo mit schwarzen Borten, komplettiert durch schwarzweiße Westernschuhe. Dem feierlichen Anlass entsprechend, finden wir den Sänger dem Publikum zugewandt, seine Songs fein artikulierend, sanfte Bögen karikaturhaft ins Schlagerhafte übertreibend. Selbst das bittere „It Ain’t Me Babe“ – die Klage eines Bindungslosen, jemandes gut begründete falsche Wahl zu sein – gerät auf diese Weise ins Süßliche. Weil er das Weltabgewandte so gut kann, kehrt er das Persuasive heraus, damit es ein bisschen falsch klinge.
Der hochkarätige Auftritt als Tanzhallenband mit drei akustischen Gitarren, Schlagwerk ohne Bassfunktion und einem gezupften Stehbass: Fast wäre die Sache schief gegangen, weil ein Störer von den Rängen der Schleyer-Halle in Stuttgart mit seinen Rufen die fein gehäkelte Textur des vorgetragenen Liedguts zerriss. Vielleicht war dies der Grund, dass bald die grelleren Lichter zugeschaltet und die Gitarren schmaler wurden. Und wieder war der Effekt von 1965 da, die Überraschung, dass Dylans Songs nicht die näselnden Landarbeiterballaden sind, als die er sie anfangs ausgegeben hatte, sondern solide Gebilde mit tiefen Wurzeln im Rhythm and Blues, im Rock ’n’ Roll: elektrisch in ihrer Natur.
Eine feine Band hatte er da hingestellt, eigensinnig im Detail, das Ohr am Gesamtkunstwerk und modemäßig ungefähr San Francisco um 1900. Unter den jungen Leuten wirkte Dylan klein, o-beinig, verschroben, und wie er im hellen Sonntagsstaat vorwärts und rückwärts trippelte, einknickte in der Hüfte, die Waden auf 45 Grad stellte: Da musste ich daran denken, wie er Phil Ochs verlacht hatte, als dieser im Glitzeranzug das politische Lied zu den Massen hatte bringen wollen.
Wie drei riesige Kommata schweben die Lautsprecher über die Bühne, die vorsichtig ausgesteuert werden bis an ihre Grenze, und die Grenze hört man, wenn Dylans Stimme an ausgesuchten Stellen umbricht in kreischenden Lärm. Es gelingt ihm, seine Stimme gegen die Macht der elektrischen Jams präsent zu halten. Und jenseits des Röhrens und des gutturalen Croonings, das ich für die Endstation seiner Vokalkarriere gehalten hatte, wird eine wachere Stimme hörbar, in der das bekannte Songmaterial sich spiegelt wie in stillem Wasser: im Detail erkennbar, aber auf den Kopf gestellt. Nur das „making love“ in „Desolation Row“ klingt immer noch so, als solle jemand erdrosselt werden.
Das letzte Album dieses Autors heißt „Time Out of Mind“ (1997), und es wird in diesem Konzert sanft geplündert. Die neue Platte heißt – im Ernst – „The Best of ..., Vol. 2“, und zeigt einen eklektischen Durchmarsch durch diese ganze riesige Geschichte von Dylans Studioproduktionen. Wie klassische Interpreten die Notation durch den Wolf drehen, macht Dylan es mit der ganzen Masse des bereits gespielten Materials. Ry Cooder könnte seine Gitarre besser spielen, als er es tut, und K. D. Lang würde „Rainy Day Woman“ zwanzig Klangfarben und einen Fächer von Synkopen entlocken können. Dylan aber zeigt die Songs wie sich selbst, nämlich als verkleidete; niemals würde er versuchen, die Statur, die ihm sein Name zuweist, leibhaftig ausfüllen zu wollen.
Es ist doch merkwürdig, dass Kollege Lou Reed das schillernde Spiel der Warholschen Factory auf das Klischee des Authentischen heruntergefahren hat, was er durch seinen Gitarrenfetischismus betoniert. Dylan singt den alten Song über die Factory-Schönheit Edie Sedgwick, in dem er Warhol als „Napoleon in Lumpen“ angreift, und aller Hohn über das Mädchen, das nun als „Rolling Stone“ ihre Diamanten zum Pfandhaus bringen muss, ist umgeschlagen in Mitleid.
Dylan, um es klar zu sagen, ist als alter Mann unterwegs; mit seiner gestelzten Rockerattitüde stellt er in der Mitte einer coolen Band seine Schwächen aus. Er will uns zeigen, dass er in seiner Musik ist, ihr Teil, ihr Nutznießer, ihr Instrument; mit anderen Worten: Die Songs sind nicht mehr seine. Sie haben ihn jetzt schon überlebt. Daher vielleicht der Zug der Erleichterung, der ihn umweht.
Die nächsten Auftritte: 11. 5. Köln, 12. 5. Hannover, 23. 5. Berlin, 24. 5. Dresden, 25. 5. Regensburg
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