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„Nie mehr der letzte Arsch sein“

Der Sozialwissenschaftler Heinz Bartjes, ehemaliger Referent für Zivildienst bei der Diakonie, hat untersucht, was Zivildienstleistende mitnehmen aus ihrem sozialen Jahr. Die Bilanz eines Zwangsdienstes

taz: „Zivis sind der letzte Arsch“, ein Fünftel aller befragten Zivis stimmten der Aussage zu. Da muss man wohl nicht weinen, wenn der Zivildienst untergeht?

Heinz Bartjes: Nein, ganz klar. Der Zivi ist eingebunden in militärische Strukturen. Das ist kein positives Modell für soziales Lernen. Es verweist eher auf vorenthaltene Lernchancen: Wenn 20-Jährige beschreiben, dass sie zum ersten Mal das Gefühl hatten, gebraucht zu werden, zeigt das, dass vorher etwas nicht stimmt.

Trotzdem haben die Jugendlichen in Ihrer Studie oft positiv Bilanz gezogen?

Ja, viele fanden es gut, wenn sie andere Seiten entdecken konnten, die vorher nicht abgefragt wurden. Das heißt, die jungen Männer werden immer noch sehr traditionell männlich erzogen, können zum Beispiel wenig soziale Kompetenz entwickeln. Es ist erschütternd, dass erst ein Zwangsdienst daherkommen muss, damit sie das lernen können.

Muss man heute noch mutig sein, wenn man Zivildienstler wird?

Nein, denn der Trend hat sich umgedreht: Wo wird man gebraucht? Bei der Bundeswehr etwa? Nein, im sozialen Bereich. Und die Personalmanager erwarten heute eher Teamfähigkeit und Kreativität als soldatische Tugenden und nehmen dann unter Umständen eher Zivildienstler. Das ist ein emanzipatorischer Schritt, aber auch die schlichte Modernisierung von Kompetenzen, eine Angleichung an die aktuellen Bedürfnisse des Marktes.

Das heißt, es ist auch gar keine besondere gesellschaftliche Gruppe mehr, die Zivildienst macht?

Ja, vor einigen Jahren war ich erst mal irritiert, als die ersten Skinheads und Leute aus der rechten Szene zum Zivildienst kamen. Heute ist der Zivi ein Spiegel der Jugendkultur.

Und die entwickeln alle ein alternatives Bild von Männlichkeit?

Nein, der Zivildienst bietet nur die Chance dazu. Es gibt ja auch Jobs wie Rettungssanitäter, wo man trotz des sozialen Hintergrundes ein Helden- und Retterimage aufbauen kann. Aber manche merken zum Beispiel, wie viel Spaß ihnen das Umgehen mit Kindern macht. Die sagen am Ende von sich aus: Ich will gerne miterziehen. Das fordern ja sonst eher nur Frauen.

Wenn Männer mit Schwäche und Hilflosigkeit konfrontiert werden, wehren sie das konventionellerweise oft ab. Wie machen sie das im Pflegedienst?

Ich war immer überrascht, wie viel Fürsorge und Sensibilität die Zivis entwickeln. Das zeigt, dass das keine biologischen Eigenschaften sind, sondern soziale, die einfach nicht abgerufen wurden. Aber wenn es etwa um die Intimpflege bei alten Frauen geht, dann sagen die Männer oft: Klar, kein Problem. Abends beim Bier geben sie dann zu, dass ihnen die Knie geschlottert haben und sie gar nicht wussten, wo sie anfassen und wo sie hingucken sollen. Aber nach außen heißt es: Man(n) schafft alles.

Der Zivildienst wird in dieser Form kaum bestehen bleiben, was wäre eine Alternative?

Man muss das soziale Lernen in die Schule vorverschieben, zum Beispiel durch Praktika, und die freiwilligen sozialen Dienste aufwerten. Das heißt, dass man nicht Ehrenamtliche rekrutiert, weil man ein Problem im sozialen Bereich hat, sondern sich fragt, was man dem Jugendlichen eigentlich bieten kann. Denn die wollen so etwas ja ausprobieren und sich engagieren, sie wollen bloß nicht als „der letzte Arsch“ irgendwo reingestopft werden.

Interview: HEIDE OESTREICH

Heinz Bartjes: „Der Zivildienst als Sozialisationsinstanz“. München 1996

Zitat:„Erschreckend, dass erst ein Zwangsdienst Jungs dazu bringt, soziale Kompetenz zu entwickeln“: Heinz Bartjes FOTO: H. HEISS

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