WLADIMIR PUTIN WILL RUSSLANDS PROVINZEN ZENTRALISIEREN: Ein Balanceakt
„Der Himmel ist hoch, und der Zar ist weit“, lautet eine uralte russische Volksweisheit. Das Verhältnis zwischen dem russischen Machtzentrum und den gottverlassenen Regionen des Riesenreichs war nie ganz frei von Spannungen. Doch gab es eine beruhigende Gewissheit: Je weiter von der Hauptstadt entfernt, desto größer der Spielraum der Provinz. Nun unternimmt auch Wladimir Putin einen Anlauf, die eigenwilligen Provinzen an die Kandare zu nehmen. Die 89 Subjekte der Föderation sollen zu sieben Großregionen zusammengefasst werden, an deren Spitze ein vom Präsidenten ernannter Beauftragter die Interessen des Zentrums wahrt. Der Vorstoß des Kremlchefs macht Sinn, aber er birgt auch die Gefahr, dem Staatswesen eher zu schaden als zu nützen.
Es wäre indes übereilt, die Initiative a priori als einen Abbau demokratischer Rechte zu brandmarken. Seit dem Kollaps der Sowjetunion laboriert der russische Rumpfstaat an seiner föderalen Verfasstheit herum. Das großzügige Zugeständnis Jelzins an die Regionen während des demokratischen Aufbruchs, sich so viel Souveränität zu nehmen, wie sie verkraften können, förderte eine ernüchternde Erkenntnis zutage: An übergeordnete Staatsinteressen dachten nur die wenigsten, jeder versuchte, den eigenen Vorteil zu mehren. Die innenpolitische Schwäche des Kreml erleichterte den Kuhhandel. Ergebnis: Rechtsungleichheit der einzelnen Subjekte und heilloser Kompetenzwirrwarr.
Die Erpressbarkeit des Zentrums beflügelte die lokalen Amtsinhaber, ihre Herrschaftsbereiche in private Scheichtümer zu verwandeln. Die Grenzen zwischen Macht und krimineller Halbwelt lassen sich mancherorts nicht mehr markieren. Mit einschneidenden Konsequenzen für Bürgerrechte und Pressefreiheit. Die bange Frage indes: Werden die „Supergouverneure“ die Interessen der Provinzen beachten und das regionale Wahlrecht der Bürger nicht in Makulatur verwandeln? In Russland lauert immer die Gefahr einer Überzentralisierung, die über kurz oder lang in den Zustand des „Unterregiertseins“ umschlägt. Der Kreml steht vor einem Balanceakt. KLAUS-HELGE DONATH
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