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Radiosender im Exil

Aus Polen sendet das unabhängige Radio Racja nach Weißrussland. Das autokratische Regime in Minsk hat daheim alle Medien gleichgeschaltet

von BARBARA OERTEL

Die Holzverkleidung im Aufnahmestudio reicht nur vom Boden bis zur halben Höhe der Wand. Die nackte Fläche bis zur Decke ist mit einem Wolltuch verhängt, gegenüber lehnt eine Matratze: Schalldämmung auf Weißrussisch. Im Nebenraum des Einfamilienhauses im Warschauer Vorort Raszyn steht ein Mischpult, amateurhaft zusammengebastelt wie aus der Heimwerkstatt. „Das Pult hat 500 Dollar gekostet. Für eine professionelle Anlage müssten wir rund 8.000 Dollar aufwenden“, sagt Dmitri Novikow aus Minsk.

Lukaschenko ist der Sender ein Dorn im Auge

Doch Radio machen können Programmdirektor Novikow und seine Kollegen trotz widriger Umstände – und das schon seit November vergangenen Jahres. Da erhielt das weißrussische Radio Racja in Polen eine Lizenz und nahm in der Stadt Bialystok, nahe der weissrussischen Grenze, erstmals den Betrieb auf. Gesendet wird von Warschau aus in weißrussischer Sprache jeden Morgen von 6 bis 8 Uhr. Das Programm besteht aus aktuellen Reportagen, Interviews sowie Berichten über Literatur, Kunst und Geschichte. Von 12 bis 13 Uhr wird eine Kurzform der Morgensendung als Wiederholung ausgestrahlt.

Obgleich die Macher von Radio Racja dem autoritären Regime von Weißrusslands Staatspräsident Alexander Lukaschenko durchweg kritisch gegenüberstehen, will Novikow das Radio nicht als Agitpropsender mit umgekehrtem Vorzeichen verstanden wissen. „Wir rufen die Menschen nicht dazu auf, gegen Lukaschenko zu demonstrieren oder das Regime zu stürzen“, sagt er. „Wir wollen die Hörer für bestimmte Themen interessieren und mit Informationen versorgen, die ihnen in Weißrussland vorenthalten werden, damit sie sich selbst ein Urteil bilden können.“

Schikanen und Geldsorgen sind an der Tagesordnung

Doch solche filigranen Unterscheidungen sind dem Sowjetnostalgiker Lukaschenko, der ein Gemisch aus Russisch und Weißrussisch in seinen Reden zum Besten gibt, fremd. Getreu dem Motto „Wer nicht für uns ist, wird kaltgestellt“ stehen kritische Medien in Weißrussland unter wachsendem Druck – bis hin zur Anwendung physischer Gewalt.

So ist auch Radio Racja nicht zufällig in Polen ansässig. Und alle 16 festen Mitarbeiter des Senders in Warschau haben bereits einschlägige Erfahrungen mit der Staatsmacht machen müssen. Novikow selbst arbeitete früher als Programmdirektor beim staatlichen weißrussischen Radio, bevor er 1995 zum oppositonellen Sender Radio 101 plus 2 wechselte – er wurde Ende August 1996 von Lukaschenko zum Schweigen gebracht.

Bis auf eine Protestnote des weißrussischen Außenministeriums, Polen mische sich in die inneren Angelegenheiten des Landes ein, hält sich Minsk bislang noch bedeckt, was Radio Racja angeht. Dafür kommen subtilere Formen der Schikane zum Tragen. Gleich nach der Erteilung der Lizenz bemühte sich der Sender um die Akkreditierung von vier Kollegen in Minsk. Im März wurde dieses Ansinnen abgelehnt, ohne Angabe von Gründen. Ein zweiter Versuch läuft bereits. Ein freier Mitarbeiter, der in Minsk seine Habilitationsschrift demnächst verteidigen will, wurde vor die Wahl gestellt: entweder das Radio oder der Job an der Universität. Neben diesen Behinderungen bedrücken Novikow vor allem Geldprobleme. Der Sender, der kein kommerzieller ist, finanziert sich ausschließlich aus Spenden der Soros-Stiftung, des Europarates und verschiedener westlicher Länder. Doch das Geld erlaubt gerade einmal ein Erhalten des Status quo, obschon Novikow das Programm ausweiten möchte, möglichst auf zehn Stunden täglich. „Dafür wären bis Jahresende rund 600.000 Dollar notwendig“, sagt er und glaubt wohl selbst kaum an eine baldige Verwirklichung seiner Vorstellungen. So gilt es, vorerst mit den begrenzten Ressourcen weiterzumachen. Und da heißt die Devise: Arbeiten für die Zukunft. Doch die sieht düster aus. Im Herbst wird in Weißrussland ein neues Parlament gewählt. Daher wird sich Radio Racja demnächst der Vorstellung oppositioneller Politiker widmen, die mangels Präsenz in den staatlichen Medien der Bevölkerung kaum bekannt sind.

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