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Neue Werte und alte Systeme

Drei Tage lang hat eine Konferenz an der Berliner Hochschule der Künste versucht, das Internet besser zu verstehen

von VERENA DAUERER

Wie wird das Internet die Gesellschaft, zumindest die westliche, verändern? Wandeln sich nur einige traditionelle Wertvorstellungen, oder schaffen sich die neuen Medien ihre eigenen, völlig neuen Werte gleich selber – und sollten wir das so langsam mitbekommen haben? Eine der zentralen Fragestellungen auf der „monomedia“ genannten Konferenz über die „kulturellen Herausforderungen in den Neuen Medien“. Sie fand letztes Wochenende in der Berliner Hochschule der Künste statt und verpackte ihre gewichtigen Themen in schneidige Anglizismen aus der Werbersprache: „Sharing values“, „value exchanges“, „flock of values“ und „value shift“ hießen die faserigen Begriffe, die einem ebenso um die Ohren schlugen wie die anderen, unvermeidlichen Schlagwörter „Globalisierung“, „global village“ und „global players“.

Mit den „values“ in verschiedener Ausführung waren mal Wertesysteme für den Informationsaustausch im Netz gemeint, mal alternative Tauschformen, mal Unternehmensstrategien für die „Corporate Identity“ oder auch nur der Wandel tradierter Werte unter dem Einfluss der neuen Medien. Genauere Definitionen waren nicht auszumachen.

Teils hochkarätige Redner sollten einen „content“, einen Inhalt also, in die hübsche Form des Kongresses gießen, der so adrett aufgezogen war wie das orangefarbene Begleitheft und die durchsichtige Plastikbadetasche für die Teilnehmer. Aber nur die positiven Werte sollten sie darin nach Hause tragen, schließlich wurde die Veranstaltung vom Fortschrittsoptimisten Professor Willem Velthoven geleitet, dem Chef einer Werbeagentur in den Niederlanden, der seit letztem Jahr einen durch die Deutsche Bank 24 gesponserten Lehrstuhl an der HdK für multimediale Kunst innehat. Er findet, dass durch die Telekommunikation das Leben „außerordentlich viel Freiheit und Wert“ gewinnt und sagt: „Neue Medien verändern nicht die Werte, aber den Umgang mit ihnen.“

Alles nämlich werde leichter, meint Velthoven, und sei es nur, dass wir die Briefe nicht mehr zur Post bringen zu müssen. Stattdessen könnten wir uns mit anderen Modernisierern in der Community organisieren und zwecks Arbeitsteilung zusammenschließen, um noch mehr Zeit zu sparen. Just das aber ist für Joseph Weizenbaum sinnlos, jedenfalls solange die Menschen nur fünf Stunden mehr Zeit haben, die sie als couch potatos vor der Glotze verbringen. Der MIT-Veteran in Sachen Künstliche Intelligenz und legendärer Programmierer der Gesprächssimulations-Software „Eliza“ will sich deshalb nicht fragen, wie das Internet die Welt verändern wird, sondern was die Menschen tun können, um neue Werte festzulegen, denn: „Das Internet ist nur ein Werkzeug es kommt darauf an, wie man es benutzt.“ Wir benutzen es schlecht. Das ursprünglich anarchistische Netz sei heute nur ein weiterer Markt, der nach neuen Feldern abgegrast werde. Lieber möchte Weizenbaum eine vernünftige Welt herstellen, und das seit mindestens vier Jahren, hatte er doch seine Thesen in fast gleichem Wortlaut bereits 1996 auf dem European Media Art Festival in Osnabrück vorgetragen.

Es könnte aber doch sein, denkt der mexikanische Philosoph Manuel de Landa, dass das Netz genauso funktioniert wie schon der Tauschhandel zwischen den Handwerkern in der Emiglia Romana. Also alles schon mal da gewesen und in zeitgemäßer Form, die allein noch keine Werte verändert? Nur die weltweite Ausweitung der Kommunikations- und Transportwege sei schuld, dass die global players ebenfalls weltweit Druck auf die Poltik ausüben, um ihre Interessen durchzusetzen. „Das ist Erpressung, schließlich können die Unternehmen mit einem Standortwechsel ganze Städte durch Massenarbeitslosigkeit ausrotten“, sagt de Landa.

Die letzten Stalinisten sitzen heute im Silicon Valley

Die Globalisierung selbst will de Landa allerdings rein wirtschaftlich definieren, das hat er mit dem Soziologen Ulrich Beck gemein, der den Begriff auf einen „weltweit desorganisierten Kapitalismus in einer Weltgesellschaft ohne Weltstaat und ohne Weltregierung“ reduziert. Diesem Kapitalismus des Internet musste etwas entgegengesetzt werden, am besten eine Verschwörungstheorie: Richard Barbrook, Dozent für Hypermedia in Westminster hält Silicon Valley schlicht für eine kommunistische Hochburg, weil sich der amerikanische Neoliberalismus kommunistische Theorien einverleibt habe. Die Intellektuellen des rechten Flügels seien immer schon von Stalins Thesen beeinflusst gewesen. Eine aufgeklärte, technisierte Elite führe die Massen ins Informationszeitalter, Anfangsbeschwerden würden weggefegt mit der Verheißung auf ein Mehr an Freiheit in der Zukunft. Fortschritt bedeute, möglichst viele elektronische Geräte wie Handys und Laptops um sich zu haben, wie die russischen Tyrannen auch gerne moderne Sachen besaßen.

Und bevor wir vollends abdriften, lösen wir uns vielleicht einfach in kleine Teilchen auf: Paul Frissen, niederländischer Professor für Verwaltung sieht durch die Neuen Medien den „leeren Staat“ der Postmoderne kommen. Die Politik rechter wie linker Regierungen, von Margaret Thatcher und Tony Blair, sei davon besessen, alles unter Kontrolle zu haben. „Politik ist eine zentralisierte Institution, die sich den Neuen Medien daher instrumental annähert. Die Politiker benehmen sich gegenüber den Internet-Providern wie ein Regime, das in der physischen Welt nicht toleriert würde. Das Netz aber produziert im Gegenzug Anarchie und als Folge eine „dezentrale Welt, die keine gemeinsamen Werte, Koalitionen, Normen und soziale Integration mehr besitzt und sich in Fragmente zerstückelt“, sagt Frissen.

Schwerfällige Monolithen wie Microsoft haben keine Chance in dieser Welt. Die typische Infrastruktur des neuen leeren Staates ist das Netzwerk der öffentlichen Diskussion. In Frissens Entwurf hätte wunderbar die Künstlergruppe Etoy gepasst. Die rekrutierte im letzten Herbst übers Netz weltweit Agenten als selbständige Einheiten und rüstete sie zum Toywar, als der Spielzeughersteller Etoys kurzerhand ihre Domain wegen der Namensähnlichkeit schließen ließ. Nun waren die drei nach Berlin gereisten Agenten zwar auf die Frage nach den Werten vorbereitet, nicht aber darauf, sich selbst zu erklären. Ähnlich erging es dem ganzen Kongress: Seine Zielgruppe sollten Webdesigner, Programmierer und Projektmanager sein. Aber die kamen nicht, stattdessen Studenten, die nur eine ermäßigte Teilnahmegebühr bezahlten. Auf der nächsten „monomedia“ in zwei Jahren möchte Velthoven deshalb gerne etwas Sinnlicheres zum Thema machen. „Sex zieht immer“, sagt er, und das muss man tatsächlich nicht groß erklären. vdauerer@t-online.de

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