: Jeder verdammte Atemzug
Im Synchronisationsgeschäft wird es eng: Die Studios produzieren mit wenig Geld immer schneller – ein Hollywoodfilm wird in einer Woche übersetzt. Kein Wunder, dass Oliver Stone darauf bestanden hat, die deutsche Tonspur zu „Any Given Sunday“ persönlich abzusegnen
von THOMAS WINKLER
Der Blick geht mitten durch die Dunkelheit. Zur Leinwand an der gegenüberliegenden Seite des Ateliers. Davor ist nichts. Nur Stimmen. In der Finsternis streitet Melanie Griffith mit George Clooney. Oder Bill Pullman mit Sharon Stone. Ab und an geht das Licht an. Dann sieht man die Menschen, die mit fremden Zungen sprechen. Im wirklichen Leben heißen sie Heike Schröter und Detlef Bierstedt und sprechen diesmal Fred und Wilma Feuerstein. Das Sequel der „Flintstones“ kommt demnächst in die deutschen Kinos.
Irgendetwas war falsch. „Der Atmer?“, fragt eine der Stimmen aus der Dunkelheit. „Ja“, antwortet Synchronregisseur Michael Nowka aus dem Regiekabuff, das leicht erhöht hinter einer schalldichten Glasscheibe über dem Atelier thront, „der war ein bisschen falsch.“ Take 4/039 wird wiederholt. „Jut so!“ 4/039 ist im Kasten. Ungefähr 200 solcher Takes stehen auf dem Programm an diesem Tag in der Berliner Synchron im beschaulichen Lankwitz. Es gibt andere, kleinere, neue Firmen, da sollen es bis zu 300 oder mehr sein. Darunter leidet natürlich die Qualität. „Es gibt einfach viele schwarze Schafe“, sagt Nowka, der aus einem früheren Leben als Wirtschaftswissenschaftler noch einen Doktortitel spazieren trägt, die deutsche Stimme des Monty Python Michael Palin ist und sich als Synchronregisseur auf „Action und Mainstream“ spezialisiert hat: „Viele kleine Firmen schießen aus dem Boden, um den großen was vom Kuchen wegzunehmen.“
Im Synchronisationsgeschäft ist seit einiger Zeit ein vehementer Verdrängungswettbewerb im Gang. So diagnostizierte Angela Hof, Technik-Verantwortliche beim Filmverleih Scotia, während der letzten Berlinale „ein Hauen und Stechen in der Synchro-Szene“. In Berlin, wo sich die Branche konzentriert, gibt es mittlerweile etwa 30 Betriebe, die Eindeutschungen anbieten. Qualitätsverluste sind bislang allerdings im Kino kaum zu spüren, sondern vor allem auf dem immer noch expandierenden TV- und Videomarkt. „Der große Hollywoodfilm geht nicht in Waschküchenstudios, wo er in den Arsch synchronisiert wird“, sagt Nowka, aber ansonsten „kommen teilweise grauenhafte Sachen raus.“
Eine Woche lässt man sich im Studio durchschnittlich Zeit für die Synchronisation; bei sehr großen Produktionen können es auch schon mal zwei Wochen werden, für „Jurassic Park“ durfte sich Nowka sogar drei Wochen Zeit lassen. Auch wenn die Vorarbeiten – die Rohübersetzung des Originalfilms, die meist vom Synchronregisseur selbst geschriebene, nach Möglichkeit bereits lippensynchrone Fassung und die Ablaufpläne – perfekt vorbereitet sind, fehlt oft die Zeit, weil das Finanzbudget zu klein ist. Die Firmen, vor allem die kleineren, unterbieten sich gegenseitig mit Dumpingpreisen. Mehr als eine fünfstellige Summe wird so gut wie nie für eine Eindeutschung gezahlt, Taschengeld im Vergleich zu den vielen Millionen, die Filme heut zu Tage kosten. Die Verleiher wollen zwar nahezu jedem Film eine deutsche Fassung verpassen, weil untertitelte Filme von vornherein schlechtere Chancen an den Kinokassen haben, aber richtig gut bezahlen wollen sie dafür nicht.
„Wenn man bedenkt, wie wichtig die Synchronisation für einen Film ist“, so Eckhard Schleifer vom Bundesverband Kommunale Filmarbeit, „ist es unglaublich, wie die Branche ignoriert wird.“ Bei den meisten Produktionen werden Synchronstudio, -regisseur und -sprecher noch nicht einmal im Abspann genannt. Auch deshalb hat der in Frankfurt angesiedelte Verband während der Berlinale bereits zum vierten Mal den Liliput-Preis vergeben. Mit der Auszeichnung besonders schlechter wie besonders gelungener Beispiele wolle man „zur Verbesserung der Synchronisationen, aber auch zur Verbreitung von Originalfassungen mit Untertiteln beitragen“, so Schleifer.
Nachdem der Preis in den ersten Jahren von der Branche weitestgehend ignoriert oder bestenfalls mit Missmut aufgenommen wurde, kommt nun doch langsam der vom Bundesverband erhoffte Dialog in Gang. „Am Anfang haben sich einige auf den Schlips getreten gefühlt“, sagt Schleifer, „aber es geht voran.“ So freute sich der Verleih Interopa, zuletzt gelobt für die deutsche Fassung des David-Fincher-Films „Fight Club“, dass „das Ergebnis unserer engagierten Arbeit öffentlich anerkannt wurde“. Nowka findet, Liliput sollte wie der Oscar von der Branche selbst vergeben und entsprechend für die Außenwirkung vermarktet werden. Sein Kollege Tobias Meister, die Stimme von Tim Robbins, Sean Penn, Kiefer Sutherland, Brad Pitt und als Regisseur unter anderem für die deutschen Fassungen von „Galaxy Quest“ und „Star Wars – Episode 1“ verantwortlich, hält Liliput „prinzipiell für eine positive Sache. Damit zwingt man die Synchronfirmen hoffentlich mehr Zeit und Geld zu investieren.“
Der Preis könnte das neben Geldnot und Zeitdruck größte Problem der Branche beheben helfen: mangelnde Anerkennung. In Filmkritiken wird die Übersetzungsleistung – wenn überhaupt – nur negativ erwähnt. Denn „eine gute Synchronisation erkennt man daran“, so Nowka, „dass sie nicht auffällt“. Das tut sie vor allem dann nicht, wenn die deutschen Dialoge lippensynchron zum Original passen. Hier hat sich mit der digitalen Technik vieles zum Besseren gewandelt: Bearbeitung und vor allem jederzeit abrufbare Speicherung der Dialogfetzen im Computer macht es möglich, die Anschlüsse zu den anderen Takes sofort zu überprüfen. Früher war das oft ein Glücksspiel, etwa wenn Dialoge getrennt aufgenommen werden mussten, weil die Sprecher nicht zur selben Zeit verfügbar waren.
Wenn ein Sprecher nicht zur Verfügung steht, haben bekannte Hollywoodgrößen plötzlich eine völlig fremde Stimme. Manchmal werden Sprecher auch einfach zu alt für das jugendliche Image der Mimen und müssen ausgetauscht werden, so die jahrzehntelange Synchronstimme von Robert Redford. Mancher Sprecher stirbt auch einfach vor seinem Gesicht.
Vor unlösbare Probleme stellten die Synchronfirmen die Dogma-Filme. Der Authentizität verpflichtet, drehen die dänischen Filmemacher mit Direktton. Das bedeutet, es standen nicht wie sonst getrennte Tonspuren für Sprache und Geräusche zur Verfügung. Stattdessen musste jedes Rascheln und Knistern, jede Raumatmosphäre für die Synchronfassung im Studio reproduziert werden. Ein aussichtsloses Unterfangen, das folgerichtig scheiterte. Kritiker merkten zu Recht an, dass hier eine Untertitelung der einzig gangbare Weg gewesen wäre. Ein Großteil des schlechten Images der Synchronisation ist allerdings nicht technisch, sondern infrastrukturell bedingt. Von der Rohübersetzung zur Dialogfassung bis zum Endschnitt geht das Produkt durch zu viele Hände. „Da wird der Übertragungs- zum Veränderungsprozess“, glaubt Schleifer. Die meisten Synchronregisseure beherrschen zudem nur Englisch ausreichend gut, bei chinesischen oder russischen Filmen müssen sie sich gänzlich auf die Rohübersetzung verlassen und die ist manchmal nur die Übersetzung der englischen Untertitel.
Auch die Vergangenheit wiegt schwer: In den Siebzigern und teilweise noch in den Achtzigern glänzten Verleiher hier zu Lande nicht nur bei ihren deutschen Filmtiteln mit künstlerischer Freiheit. Legendäres Beispiel ist die TV-Serie „Die Zwei“, deren Dialoge nicht übersetzt, sondern vollkommen neu geschrieben wurden. Im Herkunftsland Großbritannien ein Flop, wurde das Gefrotzel zwischen Roger Moore und Tony Curtis hier Kult.
Auch wenn dieser Fall erfolgreich war: Solche Freiheiten haben der Synchronisation ein bislang nicht überwundenes Imageproblem hinterlassen. Es wiegt umso schwerer, als in der Branche eh ein mittelschwerer Minderwertigkeitskomplex grassiert. Immer in der zweiten Reihe stehen zu müssen, sprichwörtlich im Schatten zu agieren, und von der Öffentlichkeit vorzugsweise als Verhunzer wahrgenommen zu werden, hat Spuren hinterlassen. „Es gibt auch bei manchen Schauspielern die Auffassung“, erzählt Meister, „dass Synchron eine minderwertige Arbeit sei.“ Für viele Mitarbeiter ist es nur die zweite Option, nachdem man im glamouröseren Geschäft vor der Kamera scheiterte.
So versucht mancher, dem zweiten Teil des Wortes Synchronregisseur eine angemessene Bedeutung abzuringen. „Es gibt Filme, die sind im Original so schlecht“, sagt Michael Nowka, „da kann man Dinge verändern und verbessern. Schließlich sind wir Dienstleister und haben die Aufgabe, dem Verleiher bei der Vermarktung zu dienen.“ Tobias Meister hält Werktreue gegen Produktoptimierung: „Der Originalregisseur hatte seine Intentionen, ob die mir gefallen oder nicht. Es ist nicht meine Aufgabe, mich einzubringen.“
Zwar hält Meister solche Auswüchse wie „Die Zwei“ auch noch heute für möglich, „aber inzwischen überwiegt wohl doch die Authentizität“. Auch die Filmproduktionsfirmen selbst legen mehr Wert auf Werktreue. Regisseure wie Steven Spielberg schicken einen Supervisor über den Großen Teich, der die Synchronisation überwacht. Oliver Stone kümmert sich sogar persönlich darum – zuletzt bei seinem American-Football-Film „Any Given Sunday“, wo er das Textbuch nach der Rückübersetzung absegnete.
Trotzdem: Synchronisation ist auch immer Geschmackssache. So wurde Meister für seine Arbeit an „Fargo“ von den Liliput-Juroren 1997 für „rüden und lieblosen Umgang“ gerügt. „Dabei war ich auf diese Arbeit besonders stolz“, sagt Meister. Viele hätten sich darüber erregt, dass die Protagonisten „so komisch sprechen würden, aber im Original sprechen die auch alle so komisch, weil sie aus Schweden kommen“. Sein Versuch, besonders nah an der Vorlage zu bleiben, wurde von einer Jury mit exakt denselben Bewertungskriterien nicht gewürdigt.
Perspektivisch hofft Schleifer, dass mit seinem Liliput-Preis erfolgreich „ein schlechtes Gewissen“ in der Branche installiert werde, so dass vermehrt auf Untertitelung gesetzt wird – zumindest parallel zur Synchronisation, denn die wird es im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern hier zu Lande immer geben. Jedenfalls solange die Computer noch nicht in der Lage sind, die Stimmen der US-Originale deutsch sprechen zu lassen. „Ich weiß, da sitzen welche daran“, sagt Tobias Meister, „aber das wird noch eine Weile dauern. Da mache ich mir keine Sorgen um meinen Job.“
Hinweis:Von der Rohübersetzung bis zum Endschnitt geht das Produkt durch zu viele Hände: „Da wird der Übertragungs- zum Veränderungsprozess.“
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