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Die Autobahn geht weiter

Ähnliche Produktpaletten, gleiche Gestalter: Eine Ausstellung in Münster zeigt die Kontinuität auf, mit der vom Nationalsozialismus bis in die Bundesrepublik der Bildfundus der Moderne in Werbung und Design benutzt wurde

von JOCHEN BECKER

Der nationalsozialistische Zivilisationsbruch war total. Rasch erfasste die so genannte Gleichschaltung alle gesellschaftlichen und beruflichen Bereiche, nur selten von Protest begleitet. Nun wäre zu vermuten, dass auch das Erscheinungsbild des Nationalsozialismus geschieden sei vom Vorher und dem Danach. Doch schon vor 14 Jahren hatte Werner Durth für den Bereich Architektur und Städtebau beschrieben, dass Biografien und Werklinien weder den Umbruch 1933 noch die „Stunde null“ kannten. Mit „Die nützliche Moderne“ überträgt der Ausstellungsmacher Jürgen Krause im Westfälischen Landesmuseum Münster diese These nun auch auf das Grafikdesign und die Produktgestaltung. Die „sanften Übergänge des Designs zwischen Weimarer Republik, Drittem Reich und den beiden neuen deutschen Staaten der Nachkriegszeit“, wie Museumsleiter Klaus Bußmann dies einleitend im Katalog bemerkt, zeigen ein schillerndes Bild vom „Fortleben“ der ästhetischen wie gebräuchlichen Moderne im Faschismus und darüber hinaus.

Aufgeblättert als Bildstrecke dieses Kontinuitätsversprechens hängt das Sonderheft „Der europäische Mensch“ der Illustrierten Zeitung vom Dezember 1944 aus. „... und wenn die Waffen schweigen?“ überschreibt Mercedes-Benz die Aussichten, und Henschels Lokomotivenwerk will sich „in wenigen Wochen“ schon „im Dienste des völkerverbindenen Verkehrs“ präsentieren. In ganz- oder doppelseitigen Anzeigen führen Großkonzerne erste Nachkriegsschlachten. Der Fordismus als ökonomisches Prinzip nationalsozialistischer Industrie-Modernisierung findet hierzu irre Bilder: „Auf den Straßen Europas“ fährt auch weiterhin der Ford-Lkw und macht sich bereit für die „großen Aufgaben, die unser Kontinent nach dem Kriege zu lösen hat“.

Schon das Einleitungsfoto im Katalog, das im Dreifarben-Tiefdruck das Berliner Europahaus am Potsdamer Platz zeigt, funkelt 1937 wie in jüngster Zeit. Allianz und Odol, „kraftvoll Ford welterprobt“ und Radeberger Pilsner geben als Neonornament den Hochhäusern Kontur. Nur winzig ist die ausgehängte Hakenkreuzfahne auszumachen, wie Jürgen Krause in seinem Text bemerkt. Unwirklich scheint auch Jupp Wiertz’ Plakat „In 2 Tagen nach Nord-Amerika!“, mit dem die Deutsche Zeppelin-Reederei im selben Jahr wirbt. Das Luftschiff mit Hakenkreuzemblemen am Steuerruder schwebt einsam glänzend über der Skyline von Manhattan. Die Katastrophe hingegen hieß Lakehurst und war ein Schock für die USA, die der nazi-deutschen Techno-Moderne bis zum Absturz des Zeppelins „Hindenburg“ zugeschwärmt hatten.

1937 ist auch das Jahr der „Entarteten Kunst“. Moderne Kunst wird geächtet, während linke Collagemethoden, surrealistische Motive und abstrahierte Formensprache im Grafikdesign der Wirtschaft weiter existieren können. Zwischen Neuer Sachlichkeit und Klassizismus suchten die Gestalter den Mittelweg zum Weitermachen. Noch 1938 fuhr man mit der „Amerika-Studienreise für Werbefachleute“ über den Atlantik, um sich dort die Neue Welt zu erschließen. Nur wenige nichtjüdische Designer verlassen Nazi-Deutschland unwiderruflich. Und die Dagebliebenen arbeiten bald schon für das Wirtschaftswunder oder ein Neues Deutschland. Klaus Wittkugel etwa, später geschmacksfester „Chefgrafiker des Amtes für Information der Regierung der DDR“ und Rektor der Kunsthochschule Berlin, überlebte als Wirtschaftsgrafiker.

Die mit Plakaten, aber auch Textilien, Tellern und Telefonen reich bestückte Ausstellung zu fassen fällt nicht leicht. Sie reicht von der Weimarer Republik bis zum geteilten Deutschland, pendelt zwischen allgemeiner Betrachtung, monografischem Ansatz oder institutioneller Perspektive, und schließt zudem einige nichtdeutsche Exponate (USA, Schweiz, Dänemark, Niederlande) ein, wobei die Auswahlkriterien mitunter dunkel bleiben. Nun kommt der nationalsozialistische Versuch selbst, die „Gestaltung des gesamten Lebens“ anzustreben, nicht ohne innere Widersprüche aus. Die „herrschende Systemlosigkeit des Regimes“, die der Katalogautor Klaus-Jürgen Sembach der „unterschwelligen Alltagsmoderne“ des deutschen Faschismus zuschreibt, rührt von der nationalsozialistischen Verquickung aus kapitaler Modernisierung und völkischer Schollenideologie her.

Die technokratische Umstrukturierung zeigt sich als imperiale Geste, der keine Emanzipation zu Grunde liegt: „Die Modernität des Nationalsozialismus lag weitgehend darin begründet, ein optisch bestimmtes Phänomen zu sein.“ Schon 1933 wurde gegen die von den Nazis verachtete „Kitschflut“ ein „Gesetz zum Schutze der nationalen Symbole“ erlassen. SS-Uniformen durften nicht zur Schaufensterdekoration, Hitlerporträts und NS-Parolen nicht für Plakatwerbung verwendet werden. Dies hielt Mercedes-Benz allerdings nicht davon ab, 1941 seine Karosse plakatgerecht vor dem Reichsadler-Hakenkreuz-Ehrenhofgitter des Reichsluftfahrtministeriums abzustellen.

Autobahnbau, Telekommunikation und Olympiade standen auch damals für die Beschleunigungsfantasien der Modernisierer. Die Perspektive der vorgeführten Infrastrukturen zielten stets ins unendlich Ferne, die stromlinienförmigen Transeuropa-Expresszüge erschlossen KdF-Feriengebiete und angrenzende Nationen. „Speed along German Reichsautobahnen“ warb 1937 ein Plakat von R. Zinner, auf dem eine Adlersäule die freie Bahn bewacht. Nazi-Moderne, Beschleunigung und Stromlinienform fanden im „Blitzkrieg“ eine tödliche Metapher, gewirkt aus forciertem Angriffskrieg und Opel-Blitz-Nachschub, Sturzkampfbomber und V2-Rakete.

Nach dem Krieg steht der Kölner Dom mitten auf dem Autobahnknoten, um für die Stadt als „Verkehrskreuz des Westens“ zu werben. Etwas anderes scheint wohl auch nicht übrig geblieben zu sein. „Untergangsverschleierung“, „Phantom-Werbung“ und das Exportgeschäft halten die kriegsbedingt mäßige Warenwelt präsent. Die „auch im Krieg gezielt aufrechterhaltene Erinnerungs- und Vertröstungs-Werbung“, so Ausstellungsorganisator Krause, geht in den Aufschub der Konsumerfüllung über, die das kapitale Wirtschaftswunderland verspricht. Die CDU der Adenauer-Zeit operierte mit den sattsam bekannten Russenhasser-Plakaten und forderte „Keine Experimente!“ Als Teil der psychologischen Nachkriegsführung fungierten die neu errichteten Amerika-Häuser in ihrer modernen Architektur. Das kollaborierende Frankreich baute lieber Mauern gegen die rote Flut. Dieses Motiv kehrt 1952 als „Vereinte Abwehr“ des Komitees „Sichert Heimat und Freiheit“ wieder, wobei sich die Flutmauer nun aus westeuropäisch beflaggten Mauersteinen zusammensetzt.

Eine Pressspanwand unterteilt im Museum die Plakate der beiden deutschen Staaten. Allerdings widersprechen zahlreiche deutsch-deutsche Kontakte dem landläufigen Klischee des Kalten Kriegs. Der Produktdesigner Wilhelm Wagenfeld arbeitete noch lange in Ost und West, während Kurt Kranz für den Rias ebenso wie für die sowjetzonale Deutsche Wirtschafts-Kommission Plakate entwarf. Da die sowjetische Generalität Sechszylinder-Cabrios bevorzugte, unterblieb die vorgesehene Demontage des BMW-Rüstungsbetriebs. Im Museumsfoyer steht als Blickfang neben dem VW-Kübelwagen ein Exemplar. An die Vorkriegs-Markentradition anknüpfend, verließen bis 1955 knapp 22.000 Autos das Eisenacher Werk, von denen die Hälfte der nun rotweiß gerauteten EMWs für den Export bestimmt blieben. Erst Mitte der 50er-Jahre konnte das völlig demontierte BMW-Stammwerk in Bayern wieder Fuß fassen und verdrängte EMW bald aus dem Gedächtnis.

Dabei bekam das Werk entscheidende Hilfe von dem aus Berlin nach München übergesiedelten, in den 20er-Jahren von Herbert Bayer begründeten Dorland-Studio. Der ehemalige Bauhaus-Dozent Bayer ist die wohl heikelste Figur der „nützlichen Moderne“: Seit 1928 betrieb er mit dem Dorland-Studio in Nazi-Deutschland Textil- und Körperhygiene-Werbung ebenso wie sozialpolitische Propaganda. Sein Plakat zur „Arbeitsfreude durch grüne Werkhöfe“ befehligt „Fort mit dem Schmutz“ – in einer Mischung aus aufräumender Modernisierung und eliminatorischer Homogenisierung. Eine fotorealistische Hand reißt das schwarzweiße Gerümpel vergangener Lotterwirtschaft wie eine alte Tapete hinweg, um darunter eine sonnenblumengerechte Industrie-Moderne herauszuholen. Die „Schönheit der Arbeit“ markieren efeugerahmte Gartenbänke als proletarisches Arkadien. Aus der Rückschau lässt der hinweggeräumte Schutt aber auch Kriegszerstörungen ahnen, die mit dem Wiederaufbau verdeckt werden.

Die Ausgestaltung des bio-rassistischen Ausstellungswerks „Wunder des Lebens“, die hymnischen Deutschland-Prospekte zur Olympiade, ein Jahr später in „Gebt mir vier Jahre Zeit“ umgearbeitet, und seine Duce-Verherrlichung brachten Bayer in den nach Moderne hungernden Staaten keine Probleme. Ab Sommer 1938 konnte er in den USA seine äußerst erfolgreiche Karriere fortsetzen und entwarf sogleich Titelseiten für Harper’s Bazaar und Fortune, entwickelte Ausstellungen für US-Behörden zur Kriegsmobilisierung oder fabrizierte Werbebroschüren für General Electric. Die Spacebaby-Spiralnebel-Bergkristall-Collage „This Electronic World“ wäre noch heute eine Zierde für jede Techno-CD.

1952 scheint auch der „Herbst in Deutschland“ auf Alfred Eckarts Plakat wieder in Ordnung. Oder noch: Denn die Abrechnung mit der gestalterischen Kollaboration steht noch aus. Umso bedeutender ist die 1953 erfolgte Neugründung der Ulmer Hochschule für Gestaltung durch den Schweizer Bauhausschüler Max Bill und Inge Scholl aus dem katholischen Widerstand: Erstmals sollten nun Fragen gesellschaftlicher Verantwortung der Gestalter Teil ihrer Ausbildung werden. Als grafische Entnazifizierung gilt Otl Aichers Erscheinungsbild für die Münchner Olympischen Spiele 1972.

Doch die Legenden leben weiter. So eröffnete Design-Papst Erik Spiekermanm seinen Fachkongress „Typo 2000“ mit dem erstaunlichen Wunsch, zur Einstimmung Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ zeigen zu wollen: „Die Nazis hatten das beste und erfolgreichste Corporate Design“, so zitiert ihn die FAZ, und „Hunderte von Millionen in wenigen Jahren gleichzuschalten, das ist doch stark.“ Die Moderne auf ihre Ästhetik zu reduzieren ist widerlich, aber auch heute offenbar noch nützlich.

„Die nützliche Moderne – Graphik- & Produkt-Design in Deutschland 1935–1955“, bis 4. 6., Landesmuseum Münster. Katalog 38 DM

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