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Blauer Himmel am Gelben Fluss

Kohleruß und Waldrodung: Pekings Umweltreformer wollen aus den Fehlern des Westens lernen. Doch noch hapert es an der Umsetzung

aus PekingCHIKAKO YAMAMOTO

China im Jahr 2020: In allen Großstädten wird der Fahrradverkehr auf eigenen Straßen geführt. Landauf, landab haben Gasheizungen und -herde die umweltschädlichen Kohleöfen ersetzt. Auf den Feldern pflanzen die Bauern genetisch manipulierten Reis, der ihnen den Einsatz von Pestiziden erspart. Und der Pekinger Umweltminister, dessen Amt zur Jahrhundertwende von westlichen Ministerkollegen als „schwierigste politische Aufgabe der Welt“ angesehen wurde, kann sagen: „China hat aus den Fehlern der reichen Länder gelernt.“

Das ist die Utopie, im Jahr 2000 gibt sich Xie Zhenhua noch etwas bescheidener. „Die Welt hat erst dann eine Zukunft“, meint der erste Umweltminister Chinas im Gespräch mit der taz, „wenn die Entwicklungsländer die Fehler der reichen Länder nicht wiederholen und von ihren Erfahrungen im Umweltschutz lernen“. Doch Xie weiß auch, dass der Weg, den er vorschlägt, unbegangen ist. „In China liegt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen heute zwischen 700 und 800 US-Dollar. Als der Westen ein vergleichbares Niveau erreicht hatte, war Umweltschutz noch überhaupt kein Thema“, sagt der seit zwanzig Jahren in der Umweltpolitik tätige Parteikader, den der chinesische Premierminister Zhu Rongji 1998 mit dem von ihm neu geschaffenen Umweltministerium betraute. Tatsächlich fordert Xie von 1,3 Milliarden Chinesen das bisher Unmögliche: noch in der Armut der Umwelt zu gedenken.

Angesprochen sind Leute wie Yang Fan, ein dreißigjähriger Feldarbeiter in der Provinz Hubei am Jangtse. Wang verlor bei der „Jahrhundertflut“ 1998 Haus und Hof, als in der Nähe ein Deich brach. Jetzt hat er seiner Familie auf frisch trockengelegtem Land am Flussrand ein neues Heim errichtet. Dabei sind gerade Landgewinnung und Waldrodung die ökologischen Ursachen der Flutkatastrophe. „Natürlich ist es nicht gut, Wälder abzuholzen“, sagt Yang. „Aber wir wissen nicht einmal, was wir morgen essen sollen. Hochwasser zu verhindern, ist Aufgabe der Politiker.“

Premier Zhu Rongji war nach der Flut der erste chinesische Spitzenpolitiker, der die Umweltfrage vor den Wachstumszwang stellte. „Zhu hat gesagt, dass der Schutz des Ökotops das Fundament der Entwicklung der chinesischen Nation sei“, so Umweltminister Xie. Indes geht die Waldrodung in Tibet und am oberen Jangtse-Lauf weiter – trotz des Pekinger Verbots. Xies Ministerium hat befohlen, dass in 49 Städten alle Fabriken geschlossen werden – der Grad der Luftverschmutzung liegt hier über dem Stand von 1995. Doch wer prüft nach, ob die Schornsteine nicht mehr rauchen? „Es fehlt der Verwaltungsapparat und das Geld, um die Entscheidungen umzusetzen. Und es fehlt die Einsicht in die globale Natur der Probleme“, sagt der unabhängige chinesische Umweltökonom Li Zhidong, der seit 13 Jahren in Japan arbeitet.

Trotzdem hat sich das Umweltbewusstsein der Chinesen in den letzten Jahren rasant gewandelt. Eine Studie des Asia Economic Research Institute in Tokio zeigt, das heute 80 Prozent der Bewohner Pekings und Shanghais die Umweltverschmutzung als ein ernsthaftes Problem ihrer Städte betrachten. Und eine Mehrheit der Stadtbürger ist sich bewusst, dass die Verseuchung der Umwelt ihre eigene Gesundheit und die ihrer Kinder gefährdet. Sogar Gao Yan, der Vorsitzende des zentralen staatlichen Energieversorgungsunternehmens, klagt offen, dass er „den blauen Himmel über Peking nicht mehr sieht.“

In solch klaren Worten sehen Optimisten die Vorboten der Veränderung. Schon hat sich etwas getan: In Peking ist bleihaltiges Benzin verboten. In der Innenstadt darf nicht mehr mit Kohle geheizt werden. Hier werden Fahrradwege vor Autoverkehr geschützt, gibt es Stoff- statt Plastiktüten in manchen Geschäften. Dem sollen nun große Projekte auf Landesebene folgen: Die geplanten Naturgas-Pipelines aus dem Westen sollen Chinas Kohleverbrauch reduzieren, der heute der höchste in der Welt ist. Bewässerungssysteme aus Israel sollen die Verwüstung des Landes stoppen. Neupflanzungen in Nordchina sollen die Wasserknappheit am Gelben Fluss überwinden.

Doch nach wie vor gilt: Das „Umweltschutzsystem“ wird nur funktionieren, wenn auch die Wirtschaft insgesamt vorankommt. Chinas Chance liegt im gelungenen Timing ökologischer Reformen mit dem Übergang von der Industrie- in die Informationsgesellschaft.

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