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Maue Mau-Mau-Bande

Wahre Lokale (21): Die anmutige und fantasiereiche „Taverne“ in Hannover

Wem es an Fantasie mangelt, der muss sich an die Wirklichkeit halten, was immer das ist. Nun lässt sich die Was-immer-das-ist-Wirklichkeit, wie Marx meinte, zwar vielfach interpretieren, es gelte aber, sie zu verändern. Arno Schmidt wiederum blieb bei seinem lapidaren „Mitschreiben und nicht verzweifeln“, Wittgenstein dagegen zog das vorläufige Fazit: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man lachen.“ Alles in allem wenigstens zwei Gründe für die „Taverne“, der anmutigsten Eckwirtschaft in unserer Gernegroßstadt Hannover. Es war bis vor kurzem die letzte Kneipe im Viertel, die ihr Schankbier aus dem Ruhrgebiet importierte, Refugium und Fanal gegen Design-Bierbrauer und Lokalmonopolisten, egal wie es schmeckt.

Damals wollte keine hiesige Brauerei Schwule beliefern

Vor 30 Jahren, als Gerrit und Armin die Wirtschaft eröffneten, wollte keine hiesige Brauerei „zwei Herren“, vulgo ein schwules Paar, beliefern. Ihren, wie sich bald herausstellte, schweren ökonomischen Fehler suchten die Brauereien mit dem Angebot beträchtlicher Summen zu korrigieren, aber die Wirte hielten jener Brauerei die Treue, die sich damals nicht um ihre sexuellen Präferenzen geschert hatte. Erst als der Regionalvertreter starb und sich danach bei der Dortmunder Union niemand mehr um die norddeutschen Kunden kümmerte, wechselten sie zum regionalen Marktführer und führten zusätzlich die Pseudo-Nobelbiermarke König-Pilsener ein. „Und schmeckt doch wie Otterrr, gell?“, scheppert Gerrit, der Holländer, dessen zweitliebster deutscher Ausruf „Ist doch irrre!“ lautet.

Wir tranken zügig aus, um ein drittes zu bestellen, bedauernd, dass es nun eine Anekdote weniger gab, die von Widerstand und Aufbegehr im Alltag erzählte. Vorhin hatte eine Frau am Tresen auf die Frage, warum sie den Namen ihres Mannes angenommen habe und nicht einen Doppelnamen, geantwortet: „Doppelnamen sind doch absolut feministische Schublade.“ Wie sich die Zeiten ändern, tappte ich behäbig durch die Provinzialität meiner Gedankenwelt. Wie ich die Wirklichkeit mittlerweile wahrnahm, näherte sich dem Nullniveau einer Meinungsumfrage.

Zum fünften Bier erzählte mein Gegenüber von einer Freundin, die gerade ihrem dritten Kind das Leben geschenkt hatte. Der Name des Mädchens würde Pia Rubina lauten. „Mit oder mit ohne Bindestrich?“, fragte ich, und dann sprachen wir darüber, was es heutzutage bedeutet, drei Kinder aufzuziehen. Das würde man spätestens vom achten Lebensjahr an merken, sagte ich. Mindestens an der Telefonrechnung, denn jedes Kind brauche ein eigenes Mobiltelefon sowie Internetzugang. „Alles andere würde als Vernachlässigung missbilligt!“ Kinderlos und ledig, verloren wir das Thema aus den Augen und sahen uns bald mit dem siebten Bier konfrontiert.

Die Musikbox gab leise einen Schlager aus den 80er-Jahren

Am Nachbartisch spielten fünf Menschen Mau-Mau und tranken nebendran Bessen-Genever. Wie sich die Assoziationen ändern, dachte ich, denn irgendwie kam es mir so vor, als ob ich seit fast 30 Jahren niemanden Mau-Mau hatte spielen sehen. Mau-Mau war für mich immer bloß ein Kartenspiel, bis ein Junge mir erzählte, das Viertel, in dem er wohne, würde Mau-Mau genannt. Klang verdammt gefährlich. Viel später schlug ich nach und fand das Verb mau-mau, das im amerikanischen Slang terrorisieren bedeutet. Im Webster ist ein Mau-Mau das Mitglied einer kenianischen Befreiungsbewegung der frühen Fünfzigerjahre.

„Wie laufen die Geschäfte?“, fragte mein Gegenüber plötzlich ansatzlos. „Och, relativ mau“, sagte ich. „Wundert mich nicht“, sagte er, „falls deine Texte in etwa das Niveau haben wie der Scherz eben.“ Das liege daran, dass es mir an Fantasie mangele: „Bleibt mir nur das Mitschreiben.“ – „Und die Verzweiflung“, sagte er und lachte. Der Abend neigte sich. Die letzten Gäste waren inzwischen eingeschlafen, darunter die Mitglieder der Mau-Mau-Bande, die sich erschöpft vor den Ausgang gelegt hatte in der terroristischen Absicht, uns am Nachhausegehen zu hindern. Die Musikbox gab leise einen Schlager aus den 80er-Jahren: „Das Schicksal mischt die Karten, spielen musst du.“ Aus der Küche zog der betörende Geruch von Bratkartoffeln und Sülze herüber. Im übrigen stehen draußen weiße Plastikstühle. Aber nur im Sommer.

DIETRICH ZUR NEDDEN

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