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Info-Müll verstopft das Netz

Bei der Internet World in Berlin zeichnet sich ein Reinigungsprozess ab. Die Aussteller werten erste Firmenpleiten als Normalisierung. Und Studenten fordern ein digitales Umweltbewusstsein

von RICHARD ROTHER

„Idiotenschutz für Chaträume!“ Der junge Mann mit den zotteligen Haaren kneift die Augen zusammen, als er einem Mittvierziger im Anzug einen Aufkleber in die Hand drückt. Der bleibt verwundert stehen, als ob er gerade die Robin Hoods des Cyberspace vor dem Berliner Messegelände getroffen hätte. „Rettet das Internet!“, fordern ein paar Twens auf einem Transparent vor dem Eingang zur Internet World, der größten Online-Messe Deutschlands, die gestern zu Ende ging.

Der Mann im Anzug krault seinen Bart, den schlichten Flyer der Twens lesend. Die wollen auf die „digitale Umweltverschmutzung“ im Internet aufmerksam machen. Immer mehr unnütze Links und Infos würden den Usern die Aufmerksamkeit stehlen. Das sagt BWL-Student Chris Knipping. Und: „Schmeißen Sie Ihre meistgehasste Website in die Trashcan von www.de-bios.de!“ Der Messebesucher lässt den weißen Zettel auf den Boden fallen.

Nicht nur im Netz, auch auf der Messe hat die Informationsflut zugenommen. Um die mehr als 500 Stände drängelten sich an drei Tagen 40.000 Besucher. Mehr als drei Viertel sind Männer – Frauen sind rar in der Web-Community. Auf der Messe treten sie häufig nur als halb nackte Zettelverteilerinnen auf.

„Das Business ist hart“, sagt Udo Trautenberg. Dem Sprecher der World-Online-Tochter Nacamar ist klar: Jeder müsse um Aufmerksamkeit und Zielgruppe kämpfen, um nicht unterzugehen. Gerade mal eine Woche ist es her, dass mit Boo.com, einem Londoner Web-Versand für Trendkleidung, einer der Pioniere der New Economy Pleite gemacht hat. Seit Wochen fallen die Aktien der Web-Firmen, wie gmx musste so manche den geplanten Börsengang verschieben – wegen der miesen Stimmung.

Von Panik ist auf der Messe jedoch nichts zu spüren. Trautenberg steht lächelnd vor einem Laptop-Bildschirm. „Wir sind eine der erfolgreichsten Unterhaltungs-Websites Europas.“ Auf dem Schirm kann man Sabrina, John, Jürgen und Andrea beim Fitnesstrainig beobachten – „Big Brother“ live. Die Übertragung ist aber nur ein Referenzprojekt. Nacamar hat andere Zielgruppen im Auge, für jeden soll was dabei sein. „Wir können Fußballspiele der Landesliga live übertragen.“ Die Autowerkstatt von nebenan könnte Werbung schalten.

Auch für Joachim Kathan, Justitiar der schwulen Plattform gayforum.de, ist die Suche nach Zielgruppen längst nicht beendet. „Unser Markt ist größer, als man denkt“, sagt der Mittdreißiger mit einem lächelnden Augenaufschlag. Das Gayforum will so etwas sein wie ein Gayguide durch die virtuelle Welt. Klar, dass bei jedem Klick erscheint, was das schwule Herz begehrt: zum Beipiel ein Sportwagen für nur 49.000 Mark statt 54.000.

Dass sich mit Web-Werbung und E-Commerce Geld verdienen lässt – die 40 Mitarbeiter zählende Firma muss diesen Beweis noch führen. „Wir schreiben noch keine schwarzen Zahlen, aber wir sind im Plan“, sagt Kathan mit honeckerscher Zuversicht. Die Pleiten in der Branche hält Kathan für etwas Normales: „Das gibt’s überall, warum sollte das Netz verschont bleiben?“

Für Trautenberg haben die Kursstürze sogar etwas Reinigendes. Dass verlustreiche Firmen hoch bewertet wurden, habe zu einer Spekulationsblase geführt. Jetzt beginne eine Normalisierung. Auch das Netz habe nicht Platz für alle, Konzentrierung sei nötig. Eine Stimmung, die virulent ist in den Messehallen. Wie in der Old, so auch in der New Economy: Die Großen und Schnellen setzen sich durch.

Dass das Wolfsgesetz der Old New Economy die Info-Flut eindämmt, glauben die digitalen Umweltschützer indes nicht. Die großen Suchmaschinen lieferten oft unbefriedigende Ergebnisse, um die User lange im Netz zu halten, schimpft Chris Knipping. „Aber es reicht nicht, sich über den Schrott auf den anderen Sites aufzuregen.“ Jeder User müsse Verantwortung zeigen und seine alten Sites löschen. „Wir brauchen ein neues, digitales Umweltbewusstsein.“ Dafür kämpft die Truppe ehrenamtlich. Aber nicht nur vorm Messeeingang. Wie alle Startups sucht auch www.de-bios.de Sponsoren – für eine gute Idee zunächst, versteht sich.

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