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zwischen den rillenR & B-Diven im Direktvergleich: Neues von Toni Braxton und Whitney Houston

Hochglanz im Quadrat

Hier geht es wenig um künstlerische Innovation, sondern vor allem um die Sicherung von Pfründen. Im Kosmos aus Soul und Rhythm & Blues sind Toni Braxton und Whitney Houston nicht irgendwelches Fußvolk, sondern die herausragenden Zeremonienmeisterinnen dessen, was dort einzig zählt: die glitzernde, glänzende, glimmende, glamouröse Monumentalität der Oberfläche. In den letzten Jahren waren die beiden allerdings mit mit Affären, Kinderkriegen und Drogenskandalen beschäftigt, während der Nachwuchs, ob er Destiny’s Child oder TLC hieß, die produktionstechnische Latte immer weiter frech nach oben hob.

Doch Toni Braxton schafft auf ihrem dritten Album „The Heat“ das schier Unmögliche: Nach vier Jahren Pause zurückzukommen und selbst in diesem Hochglanzgenre noch ein wenig bunter zu schillern als die Konkurrenz. Nichts hier ist billig, aber niemals wird geprotzt, alles ist stilvoll, aber nichts großkotzig. Ob spanische Gitarrenintros oder verschachtelte Vokalarrangements, cooles Fingerschnippen oder jazzige Licks, alles findet wie mit verbundenen Augen seinen Platz. Und Braxtons Stimme schlängelt sich durch diese Pracht wie der Tiger von Eschnapur durch Gold und Juwelen. Im Gegensatz zum allgemeinen Trend im R & B öffnet sie sich nur vorsichtig HipHop-Einflüssen. Die Beat-Konstruktionen sind zwar auf dem allerneuesten Stand der Technik, aber im seltensten Fall vertrackt. Eher raffiniert und verführerisch als avanciert.

Dass sich ihre Texte nahezu ausnahmslos ranken ums Verlassenwerden, um gescheiterte Liebe und die Hoffnung, dass beim nächsten Mann alles besser werde, ist im R & B Grundvoraussetzung. Bei Braxton allerdings geht solche Klage als authentische Singer/Songwriter-Haltung durch: Schließlich ist die Suche der 32-Jährigen nach dem Richtigen längst Folklore. Und während sie sich bei öffentlichen Auftritten und Fotostrecken gerne leicht geschürzt präsentiert, ist „The Heat“ zumindest auf der Textebene fast keusch geraten: Ausgerechnet das dreieinhalbminütige Geschmachte „The Art of Love“ ist ein Instrumental und kommt ohne Worte aus.

Aber auch wenn sich Braxton um die Jugendfreigabe bemüht, selbst Vibe, das Zentralorgan für schwarze Kultur, befand, dass „The Heat“ das beste Soul-Album seit D’Angelos „Brown Sugar“ sei, und das ist immerhin auch schon wieder fünf Jahre her. Kurz gesagt: Auf dem Planeten Schmalz ist momentan kein heißerer Scheiß zu bekommen.

Da, wo Braxton locker wieder gelandet ist, dahin will auch Whitney Houston wieder zurück. Wie um zu beschwören, wie unangefochten sie dereinst einmal die Abteilung Vokalentäußerung beherrschte, bringt sie nun eine Doppel-CD-Box „The Greatest Hits“ heraus. Auf der finden sich zwar nur vier neue Songs, aber dafür ein Aufkleber, der die restlichen 35 Tracks bereits als „classic“ einstuft.

Aber: Verglichen mit dem Überfluss bei Braxton wirkt mancher Song Houstons nachgerade eindimensional und platt produziert. Vor allem vermeintliche Disco-Knaller wie das Annie-Lennox-Cover „Step by Step“ wirken mit straightem Sequenzer-Gestampfe mittlerweile arg antiquiert. Auch ehrenwerte Versuche, das Soulröhrentum neu zu etablieren, dudeln heute belanglos direkt in die Vergessenheit. Auf „Greatest Hits“ ist vor allem zu hören, wie der Zahn der Zeit an Houston genagt hat, und dass das nicht nur daran liegen kann, dass viele ihrer Songs auf dem trashigen Sound von Euro-Disco aufgebaut waren.

Selbst die neuen Songs, darunter ein Lied, das ihr Q-Tip geschrieben hat, und Duette mit George Michael, Deborah Cox und Enrique Iglesias wirken steif und leblos, eben wie Auftragsarbeiten. Auf der Höhe der Zeit ist eigentlich nur der von Wyclef Jean geschriebene 99er-Hit „My Love is Your Love“. Unübertroffen im Glamourfaktor sind aber natürlich weiterhin die 80er-Balladen wie „Greatest Love of All“, die nahezu ausschließlich auf ihre immer noch unglaubliche Vokalfertigkeiten bauen. Den Soul hat sie zwar an der Garderobe abgegeben, aber in der reinen Feier der Perfektion einer Stimme ersteht das Monster Schmalz triefend und glorios ein allerletztes Mal. THOMAS WINKLER

Toni Braxton: „The Heat“ (Arista/BMG), Whitney Houston: „The Greatest Hits“ (Arista/BMG)

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