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Aufbauhilfe einmal anders

Weniger mit Geld als vielmehr mit guten Ideen und psychologischer Motivationshilfe ist im bosnischen Sanski Most ein Mütter-und Sozialzentrum entstanden. Vorbild und Keimzelle für das bislang einzigartige Projekt „Fenix“ sind die „Beratungsstellen für natürliche Geburt“ in München und Berlin

von JOHANNES SIMON

Wassermühlen, seltene Vogelarten, hier und da ein auf Fang hoffender Angler – das Bild am nordbosnischen Fluss Una scheint friedlich. Doch es trügt. Die Straße zwischen Prìjedor und Sanski Most wird von einer unsichtbaren Grenze durchschnitten. So gehört die Kreisstadt Prìjedor seit Kriegsende 1995 zur serbisch dominierten Republika Srpska, während Sanski Most, nur knapp dreißig Kilometer von dort entfernt, als Teil der bosnischen Föderation ausschließlich von Muslimen bewohnt wird. Die Wunden des Krieges sind immer noch sichtbar. Ruine reiht sich an Ruine, und Plastikbänder an den Straßenrändern warnen vor Minen.

Schlimmer jedoch als die stummen Zeugen der Vergangenheit ist die Lebenssituation der Menschen in Sanski Most. 63 Prozent der 73.000 Einwohner sind Flüchtlinge. Sie haben dort zwar Unterschlupf gefunden vor der einstigen Verfolgung durch die Serben, damit jedoch nur ihr nacktes Leben gerettet. Wohnungsnot, Hunger, 93 Prozent Arbeitslosigkeit und die Bewältigung der Kriegstraumata sind die wohl drängendsten Probleme der Menschen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die wichtigsten Versorgungseinrichtungen immer noch im nunmehr „ethnisch gesäuberten“ serbischen Prìjedor befinden.

Vor dem Krieg war die Stadt Mittelpunkt der gesamten Region – Krankenhäuser, Einkaufszentren und die gesamte Administration waren dort konzentriert. Nach der unnatürlichen Teilung Bosniens ist Sanski Most heute von der Kreisstadt abgeschnitten und so zur strukturellen Randzone geworden. Vor allem Kranke und schwangere Frauen leiden unter der Situation. Denn in dringenden Fällen bleibt der muslimischen Bevölkerung nichts anderes übrig, als den dreistündigen Weg nach Bihac zu nehmen – der nächstgelegenen bosnischen Stadt, die mit öffentlichen Versorgungseinrichtungen ausgestattet ist. Die Strecke führt durch gebirgiges und teilweise schlecht befahrbares Gelände. Und wer hat schon ein Auto?

Als 1995 die damals 22-jährige Adisa Hotić und Emina Sehić (damals 31) aus Deutschland in ihre alte Heimat zurückkehrten, waren sie erschüttert von der Not ihrer Landsleute und beschlossen, im Rahmen ihrer beruflichen Qualifikation aktiv zu werden. Dabei tragen auch sie ihr persönliches Schicksal wie eine schwere Last mit sich herum. Emina und ihr Mann Zlatan haben gleichsam noch Glück im Unglück gehabt: Dreieinhalb Monate war der 38-Jährige Gefangener im berüchtigten Konzentrationslager Omarska, dann erlangte er durch Vermittlung eines serbischen Freundes die Freiheit wieder. Dennoch sitzt das Erlebte tief und kehrt jede Nacht in Schreckensvisionen zurück. „Selbst ich weiß nur einen kleinen Teil davon, was mein Mann dort erlebt hat“, erzählt Emina. Grauhaarig und schweigsam ist Zlatan geworden, zu groß, zu unfassbar sind die erlebten und erblickten Grausamkeiten, als dass er darüber sprechen könnte.

Eine neue Perspektive erlebten die Familien von Emina und Adisa erst wieder als Flüchtlinge in Deutschland. Die Hebamme Adisa Hotić lernte dort auch ihre deutschen Kolleginnen kennen: Hanne Beitel von der Beratungsstelle für natürliche Geburt, Berlin und Stephanie Struthmann vom Freien Mütterzentrum München. Die beiden stark auf soziale Integration ausgerichteten Modellprojekte (Stichwort „Netzwerk Geburt und Familie“) wurden dann auch zum Vorbild für das Projekt „Fenix“ in Sanski Most.

Emina und Adisa begannen, ganz entgegen der sozialistischen Tradition im ehemaligen Jugoslawien, ein Gesundheits- und Sozialzentrum ohne jede staatliche Unterstützung aufzubauen. Während der Sondierungsphase wurden sie von vergleichsweise kleinen Hilfsorganisationen wie „Brandenburg hilft Bosnien“ oder dem „Mostar Friedensprojekt“ unterstützt. Den Unterhalt der Einrichtung sicherten später vor allem die vom UNHCR (UN-Flüchtlingshilfswerk) eingerichtete Initiative BWI (Bosnian Women’s Initiative), der Norwegian Refugee Council sowie die deutsche „Stiftung für Bildung und Behindertenförderung“.

Zusammen mit der Frauenärztin Edina Karabek bilden sie nun ein schlagkräftiges Team, dem es auch darum geht, der patriarchalisch geprägten Gesundheitsversorgung des früheren Jugoslawien einen ganzheitlich ausgerichteten, „weiblichen“ Betreuungsansatz entgegenzusetzen. „Im Mittelpunkt stehen die Entscheidungen der Mutter“, so Adisa Hotić, „und nicht der rigide Ablauf in der Klinik.“ Ein wichtiger Gedanke ist dabei – gerade unter dem Aspekt, dass eine Unzahl von Frauen während des Krieges vergewaltigt wurde –, das Selbstbewusstsein und die Eigeninitiative der Frauen zu stärken. Umgekehrt sollen die Männer in partnerschaftlicher Weise in die Frauen- und Familienproblematik eingebunden werden sowie traditionell bedingte Vorurteile abgebaut werden. Das Konzept folgt dabei den Vorgaben der global agierenden Frauenorganisation „Huairou Commission“, die die weltweite Unterstützung und Vernetzung von so genannten Graswurzel-Initiativen zum Ziel hat.

Neben der Betreuung schwangerer Frauen übernimmt Fenix aber auch weitere psychosoziale Aufgaben. Aufgrund der kriegsbedingten Zerstörung der Sozialstrukturen und der traditionellen Familienbindungen leiden insbesondere alte Menschen (ihr Bevölkerungsanteil liegt bei zwanzig Prozent) an Hunger und sozialer Isolation gleichermaßen. Durch die Einrichtungen einer Armenküche und eines so genannten sozialen Waschsalons kann Linderung in beiderlei Hinsicht erreicht werden.

Ein wichtiger Aspekt ist aber auch die persönliche Betreuung der Allerärmsten der Armen. Unfassbar, aber wahr: Viele Sozialfälle in Sanski Most bekommen überhaupt kein Geld, „Wohlhabende“ verfügen dagegen über durchschnittlich 300 Mark monatlich. Grund genug für Emina und Adisa, auch mal aus der eigenen Tasche fürs Nötigste zu sorgen. Wer nicht mobil ist und deshalb die Armenküche im Fenix-Büro im Zentrum der Stadt nicht selbst erreichen kann, wird von den beiden Frauen in regelmäßigen Abständigen besucht.

In regelrechten Löchern wohnen viele Menschen in der Umgebung von Sanski Most; Garagen, Werkzeugschuppen und aufgelassene Gefängniszellen dienen als Wohnungen für ganze Familien. Kälte, Feuchtigkeit und Hunger sind der Nährboden für schwerwiegende Erkrankungen gerade von Kindern und älteren Menschen.

Mittlerweile macht sich auch bemerkbar“, so Adisa Hotić, „dass die Welle der westlichen Hilfsbereitschaft ins Kosovo und in andere Krisenregionen weitergeschwappt ist. Bei uns kommt kaum noch etwas an.“ Dennoch versucht das Projekt Fenix materielle und psychologische Aufbauhilfe zu leisten, wo immer es geht. Bei den 73 regelmäßigen Gästen der Armenküche (gemeinsam betrieben von Fenix und dem Malteser-Hilfsdienst) herrscht trotz all der offensichtlicher Armut in der Regel eine optimistische und heitere Stimmung.

Die Münchner Hebamme Stephanie Struthmann betrachtet ihr Engagement für Fenix als eine „spezifische Strategie der Entwicklungshilfe“. Als Besonderheit des Projekts hebt sie hervor, dass es ausschließlich von Frauen betrieben wird: „Im islamischen Bosnien ist Gynäkologie normalerweise Männersache. Traditionelle Vorstellungen verhindern oft geradezu systematisch sinnvolle Maßnahmen.“

Adisa Hotic stellt „Fenix“ vom 10. bis 16. Oktober im Rahmen des vom Bundesfamilienministerium (BMI) mit 6 Millionen Mark unterstützen Modellprojektes „SOS-Mütterzentrum 2000“ in Salzgitter vor. Zu der dort stattfindenden „Grassroots Women’s International Academy“ werden Frauenprojekte aus der ganzen Welt eingeladen. Am 11. Oktober veranstaltet Adisa Hotic einen Workshop mit dem Titel „Gesundheitsversorgung aus Frauensicht“. Kontaktadresse: Dorothee Schoos, SOS-Mütterzentrum, Braunschweiger Straße 137, 38259 Salzgitter, Fon (0 53 41) 81 67 18, www.muetterzentrum.de Spenden für Fenix gehen an: Beitel/ Struthmann/Bosnien, Postbank Berlin, BLZ 100 100 10, Konto 0839119103. Johannes Simon, 40, Fotograf und Autor bei der „Süddeutschen Zeitung“, reist seit 1996 regelmäßig in die Länder des ehemaligen Jugoslawien

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