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Land- und Edelsteinminen

Unterwegs im wilden Westen von Kambodscha. Wo früher Pol Pot sein Unwesen trieb, lockt heute ein Spielerparadies die Touristen an. Vom Steinzeitkommunismus in die Freizeitgesellschaft

Von hier aus haben die Roten Khmer die Provinz Battambang terrorisiert

von VOLKER KLINKMÜLLER

Wie ein Vogelhäuschen oder ein buddhistischer Schrein thront der hölzerne Verschlag auf einem Pfahl am Straßenrand. Nur bei näherem Hinsehen schockieren der sonnengegerbte Totenschädel und die Gebeine, die um ihn herum drapiert sind. Ein wahrlich eindrucksvolles Mittel, um beim Befahren der Nationalroute 10 zu erhöhter Vorsicht zu mahnen.

Doch in dieser Gegend ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass es sich um die sterblichen Überreste eines Verkehrstoten handelt. Vielmehr könnte das mysteriöse Luft-Grab auf ein in der Nähe liegendes Schlachtfeld hinweisen, auf ein Massaker der Roten Khmer vielleicht oder aber auf eine besonders starke Verminung der unmittelbaren Umgebung. Denn die 80 Kilometer lange Strecke zwischen Kambodschas zweitgrößter Stadt Battambang und der ehemaligen Rebellenhochburg Pailin an der Grenze zu Thailand verläuft mitten durch das Hauptkampfgebiet des rund 20 Jahre dauernden Bürgerkriegs. Eine Straße des Todes und des Leidens. Seit wenigen Wochen können westliche Touristen diesen unheimlichen Weg benutzen, um von Thailand nach Kambodscha einzureisen.

Nur rund 10 bis 15 Taxis pro Tag verkehren auf der staubigen Straße nach Pailin – zumeist Pickups, die mit Menschen und Material völlig überladen sind und häufig in Schlaglöchern aufsetzen. Schon bald hinter den letzten kolonialen Häuserzeilen der verschlafenen Provinzhauptstadt Battambang beginnt scheinbar dörfliche Idylle.

Zu beiden Seiten der Straße reihen sich traditionelle Pfahlhäuser auf – umgeben von üppigen, gepflegten Nutzgärten und mehreren Meter hohen Strohhaufen, die unter Palmen aufgetürmt sind und in aller Seelenruhe von umherlaufenden Ochsen, Schweinen und Hühnern abgetragen werden. Aber je weiter es in Richtung Pailin geht, desto zahlreicher fallen Menschen ins Auge, die ihre Gliedmaßen bei Minenexplosionen eingebüßt haben. Ein Spalier von Invaliden, denen das Pflanzen von Reis, Sammeln von Holz oder Hüten von Vieh zum Verhängnis geworden ist.

Mächtige Schilder mit bunten, dramatischen Gemälden klären plastisch auf, wo und wie die Gefahren im Boden lauern. Später sind ganze Häuserfronten mit Aufklärungsplakaten tapeziert – als würde es sich dabei um eine Art von Verzierung handeln. Immer spärlicher werden die Zeichen der Besiedlung, denn nun führt die Nationalstraße 10 durch eines der am schwersten verminten Gebiete der Welt.

Es sind nicht gerade viele ausländische Touristen, die sich bisher nach Pailin wagen – denn diese Stadt hat einen denkbar schlechten Ruf: Seit den 80er-Jahren zählte sie zu den wichtigsten Stützpunkten von Pol Pot und seinen mörderischen Banden der Roten Khmer. Von hier aus haben die Rebellen die Provinz Battambang terrorisiert, Dörfer gebrandschatzt, grausame Massaker verübt, Reisfelder vermint, Brücken gesprengt, Eisenbahnzüge überfallen und sämtliche Friedensbemühungen der Vereinten Nationen sabotiert. Bis zum August 1996, als Ieng Sary, als „Bruder Nr. 2“ und Außenminister des Pol-Pot-Regimes einer der Hauptverantwortlichen für die rund 1,5 Millionen Menschen, die während der Blutherrschaft von 1975 bis 1979 ums Leben gekommen sind, „einen Verhandlungsfrieden“ mit der Regierung schloss, für den er als Gegenleistung eine königliche Amnestie und begrenzte Autonomie für Pailin und die benachbarte Guerillahochburg Phnom Malai erhielt. Es war diese historische Spaltung, die die Rebellenorganisation entscheidend schwächte und rund zwei Jahre später zum endgültigen Ende des Bürgerkriegs führte.

Breite, teilweise frisch geteerte Straßen durchziehen den zersiedelten Ort. Präsentierte sich Pailin 1996 noch als Geisterstadt mit weitgehend verwaisten und zerschossenen Häusern, zeugen heute Schulen, Krankenstationen und eine moderne Tankstelle, aber auch Videoshops, Snooker-Hallen, Massagesalons und Karaokeschuppen von den Früchten des Friedens. Auch an einem ersten touristischen Meilenstein fehlt es nicht: Mitten im Ort erhebt sich seit Anfang letzten Jahres das „Hang Meas“-Hotel, das mit seinen 60 Zimmern durchaus westlichen Komfortwünschen entgegenkommt. Es gehört zum Imperium des berühmt-berüchtigten Tycoons Theng Bunma, der nicht selten als Gangsterkönig bezeichnet und in einigen Ländern sogar mit Haftbefehl gesucht wird.

Besonders der Markt zeugt davon, dass der Übergang vom Steinzeitkommunismus zum Kapitalismus mit atemberaubender Geschwindigkeit vor sich gegangen ist. Er wird fast ausschließlich von den zahlreichen Neubürgern der Stadt beschickt – wie Nhem Yon, die eine Garküche für Nudelsuppen betreibt und ihre Übersiedlung aus der Provinz Kampot bis heute nicht bereut hat. „Wir fühlen uns hier besonders sicher, denn es gibt keine Kriminalität. In dieser Stadt bleiben Verbrechen kein Geheimnis – und sie werden gnadenlos bestraft“, meint die 38-jährige Neubürgerin und lobt zugleich die Behörden, „die in Pailin zumindest nicht korrupt sind“. All das hat tatsächlich einen bestechenden Seltenheitswert im heutigen Kambodscha.

Des Rätsels Lösung liegt in den alten Kommandostrukturen der Roten Khmer, die – mitsamt der ihnen eigenen, mörderischen Disziplin – noch immer weitgehend intakt sind. Die ehemaligen Dschungelkämpfer befinden sich noch überall, sprechen mitunter sogar ungezwungen über ihren Dienst in einer der berüchtigsten Guerillaorganisationen der Welt. Beispielsweise Y Chhean: Er hatte seine Karriere einst als Leibwächter Pol Pots begonnen und zuletzt die Rebellendivision 415 befehligt. Wie 19 andere Generäle der Roten Khmer wurde er mit einer neuen Uniform und einer ranghohen Position in der Regierungsarmee belohnt, darf nun als Gouverneur, gewiefter Geschäftsmann und rechte Hand von Völkermörder Ieng Sary über Pailin herrschen.

Mit einer Riege von Leibwächtern und seinem protzigen Toyota Landcruiser ist Y Chhien allgegenwärtig. Würde er sich über einen verstärkten Zustrom ausländischer Touristen freuen? Eine Frage, die unbeantwortet bleibt. „Heute ist Sonntag – ich bin beschäftigt“, wehrt er ab und wendet sich wieder dem Sportprogramm im Fernsehen zu, mit dem er gerade sein Mittagessen in einem zur Straße offenen Restaurant verlängert.

Das Prachtexemplar des Rubins, der mit silberner Einfassung an seiner Hand steckt, deutet darauf hin, warum den Rebellen nie das Geld für ihren hartnäckigen Widerstand ausgegangen ist. Die Gegend von Pailin gehörte über Jahrzehnte zu den edelsteinreichsten Regionen der Welt, in denen man noch heute Saphire, Rubine, Zirkone und hellbraune, thailändische Diamanten mit bloßen Händen aus der Erde graben kann – und das sogar mitten in der Stadt: Wird bei Bauarbeiten ein Baumstumpf ausgegraben, strömen die Einheimischen herbei, um die Erde in Säcke zu schaufeln und im Wasserbad nach Edelsteinen zu durchsuchen.

Im Umfeld der Stadt lassen sich lehmverkrustete Gestalten beobachten, die in engen Erdlöchern hocken und den roten Boden auf der Suche nach ihrem Glück durchwühlen. Denn statt irgendwelche Steuern aus dem Edelsteingeschäft an Phnom Penh zu überweisen, haben sich die Herrscher von Pailin dafür entschieden, die Schatzsuche für alle Landsleute freizugeben. Was die von überall angelockten Glücksritter zu Tage fördern, lässt sich am besten vor den Holzbuden an der Hauptstraße erforschen, wo die Edelsteinhändler mit Messingtabletts, Taschenlampen, Lupen, Pinzetten und Schleifmaschinen auf Kundschaft warten.

In alle möglichen Größen geschnitten und oft schon für einen Spottpreis zu erstehen, glitzern die Edelsteine als Tropfen, Rechtecke, Ovale, Quadrate oder auch winzige halbrunde Bälle im Scheinwerferlicht. Die größeren Funde sind allerdings längst an Großhändler nach Thailand verkauft. „Leider wird es für uns immer schwieriger, brauchbare Steine zu finden. Wir verlieren jeden Tag Geld!“, beklagt Bunmy, der im Auftrag einer thailändischen Firma seit sieben Jahren mit modernem Großgerät nach Edelsteinen jagt. Auf Lastwagen wird der Aushub zu einer Waschanlage am Fluss gefahren, um die Erde von edelsteinhaltigen Kieseln zu trennen. „Als ich hierher kam, haben hier noch über 120 Firmen gegraben, bis vor kurzem waren es noch 30, und jetzt sind wir nur noch zu dritt“, meint der Vorarbeiter und kündigt den baldigen Rückzug nach Thailand an.

Eine Straße des Todes und Leidens, nun für westliche Touristen offen

Kein Wunder, dass sich die Herrscher von Pailin bereits nach einer neuen Einkommensquelle umsehen. Diese sprudelt seit kurzer Zeit – rund 24 Kilometer von der Stadt entfernt – an der kambodschanisch-thailändischen Grenze. Die Anfahrt führt erschreckend vor Augen, wie nachhaltig der Mensch Natur zerstören kann: Weite Teile der Landschaft gleichen einer ökologischen Wüste, einer Mond- und Kraterlandschaft mit dem zurückgebliebenem Schrott und Schadstoffen der längst abgezogenen Edelstein-Konzessionäre.

Aber die Roten Khmer haben nicht nur ihre Bodenschätze, sondern auch ihre Primärwälder für die Finanzierung des Bürgerkriegs verschachert. Die einst waldreiche Gegend um Pailin wurde gnadenlos abgeholzt, besteht jetzt nur noch aus monotoner Gestrüppvegetation – bis auf die bunten Spielcasinos, die seit Ende 1989 am Grenzübergang aus dem Boden sprießen. Das neue Las Vegas im wilden Westen Kambodschas: Im „Pailin“, „Flamingo“ und „Cesar International“ warten geschniegelte, im Ausland trainierte Croupiers, um die in Scharen über die Grenze kommenden Thailänder in einer aufwendig heruntergekühlten, surrealen Atmosphäre zu Baccara, Black Jack oder Roulette zu verführen. Ein glänzendes Geschäft – zumal den vergnügungssüchtigen Nachbarn in der Heimat doch jegliches Glücksspiel streng verboten ist.

„Ich habe nichts gegen Ausländer, denn das sind für mich zusätzliche Fahrgäste“, betont Pen Than, als er am späten Nachmittag einen der letzten Toyotas von Pailin nach Battambang steuert. „Aber vor kurzem hätten wir euch wahrscheinlich noch umgebracht, wenn sich unsere Wege gekreuzt hätten“, lacht der Ex-Rebell in den Rückspiegel.

Das Erbe der Roten Khmer wuchert wie ein Krebsgeschwür: Nach den traumatischen Jahrzehnten von Genozid und Bürgerkrieg passiert es ständig, dass kleinste Streitigkeiten in unvorstellbaren Gewalttaten enden. Brutalität, Mordlust, der Raub von Pfennigbeträgen und eine hemmunglose Lynchjustiz sind im ganzen Land genauso an der Tagesordnung wie neuerdings auch grausame Säureattentate!

Insgesamt gelten die Roten Khmer als befriedet. Doch für den Fall, dass ihre alten Führer, wie Ieng Sary oder die ehemaligen Pol-Pot-Getreuen Khieu Samphan (nomineller Führer) und Noun Chea (Chefideologe), die sich in dieser Region ebenfalls eines bisher ungetrübten Lebensabends erfreuen, festgenommen werden sollen, haben Teile der ehemaligen Guerillaarmee bewaffneten Widerstand angedroht. An geheimen Waffenlagern in den Bergen von Pailin soll es nicht mangeln.

Wie längst vergessene Schrotthaufen reihen sich die rostigen Ungetüme gespenstisch zwischen dem Buschwerk im hohen Gras eines Berghanges auf. Doch die zwölf Kampfmaschinen sind immerhin noch mit all ihren Kanonen und Maschinengewehren bestückt – vor Witterungseinflüssen sorgsam mit blauen Planen geschützt. „Außerdem lassen wir alle zehn Tage die Motoren warm laufen“, behaupten die Soldaten. Aber eines Tages wieder in ihre ehemaligen Guerillauniformen zu schlüpfen – das dürfte ihnen sicherlich weniger leicht fallen. Denn schließlich verscherbeln sie diese für ein paar Dollar nur allzu gern an vorbeifahrende Touristen.

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