: Das Nüchterne ist überall
Ally McBeal, Sitzgruppen, Rucolasalat: Wie passt Kunst ins Design der neuen Mitte?Die Hamburger Galerie Dörrie * Priess zeigt „Bilder zum Essen“ im „Manzini Mitte“
Ausstellungen in Restaurants, Cafés oder Bars haftet etwas Anrüchiges an. Es mag am unverhohlen kommerziellen Interesse liegen, mit dem sich Kunst in die Rolle des bloßen Dekors fügt, sich mit Bistrotischen, Milchkaffeeschaum und Käsespätzle assimiliert. „Essensbilder/Bilder zum Essen“ ist der Titel einer Gruppenausstellung, die von der Hamburger Galerie Dörrie * Priess in Zusammenarbeit mit dem Berliner Künstler Piotr Nathan in den Räumen des „Manzini Mitte“ unweit des Friedrichstadtpalastes gezeigt wird. Während im Pressetext den „artifiziellen Speisen“ des Pop-Art-Künstlers Claes Oldenburg Ungenießbarkeit bescheinigt wird, richtet sich nach Ansicht der Veranstalter die aktuelle Kunst nicht unbedingt gegen unsere Konsumgewohnheiten: „So sind zeitgenössische Essensbilder auch keine Readymades, brauchbare Alltagsobjekte mit Kultstatus, sondern Ausgangspunkte für Poesie und Parodie.“ Diese P-Worte zergehen im Mund wie weißes Schokoladenmousse.
„Das Harte, Nüchterne ist überall“, sagt Sarah Morris. Die New Yorkerin ist nicht Teilnehmerin der Ausstellung, sondern Stipendiatin der American Academy in Berlin. Ihre Lackbilder fügen sich mosaikartig aus geometrischen Farbfeldern zusammen, wie die Segmente reflektierender Hochhausfassaden. Künstler wie Morris oder Daniel Pflumm, dessen Video-Loops Marken und Produkte zu Bewegungsabläufen von Farben, Flächen und Formen abstrahieren, beschreiben urbanes Leben, das durch kommerzielle Nutzung bestimmt ist. Sie orientieren sich am „Corporate Design“ der Bank- und Bürogebäude, Firmenlogos, Werbespots. Wenn Morris von den Möglichkeiten eines „allgemeinen Raumes, eines Zwischen-Raumes, weder am Ende der Reise noch an ihrem Anfang, eines Raumes, den man durchqueren muss“, spricht, zeugt das von veränderten Konsumgewohnheiten. Gesteigerte Mobilität und interaktive Kommunikationsmittel führen zu einer Art globalem Oberflächentourismus, der einer Fassade aus Stahl und Glas mit derselben Aufmerksamkeit begegnet wie einem Touchscreen, einem Teller Pasta oder der futuristischen Einrichtung einer Boutique.
Das Atrium im Inneren der Reinhardthöfe, das das „Manzini Mitte“ beherbergt, ist tatsächlich ein „Raum, den man durchqueren muss“, ein kühles, identitätsloses Konstrukt aus Glas und Stahl, das weder innen noch außen ist. Da, wo sich die Oberflächen von Architektur als Zeichen für Ordnung, Effizienz und Kontrolle lesen lassen, wirkt der Versuch, Sinnesfreuden in einer Ausstellung zu thematisieren, so, als würde man ein Gerippe mit Lametta behängen. Arbeiten wie Sibylle Hofters auf dem Boden drapierte Plastikspagetti oder die in Würstchenform ausgestopften Nylonstrumpfhosen von Michaela Melian, die träge vor Glasfronten hängen, wirken anachronistisch, weil sie die Symmetrie stören oder den Weg zum Business-Lunch versperren.
Der plumpe Zynismus von Dieter Hackers Ölbild „Hommage an ein Brathuhn“, das einen gekreuzigten Broiler zeigt, wird durch seine Hängung noch bei weitem übertroffen. Jede freie Stelle ist mit Kunst bedeckt, Stillleben wie Thorsten Goldbergs warholeske „Tüte“ klemmen über Zigarettenautomaten oder verwaisen in Durchgängen. Wenn man sich jedoch von dem Verlangen nach Poesie und Parodie befreien kann, und das Manzini Mitte durchstreift wie ein Kaufhaus, wird man sicher fündig. Die amorphen Inkjet-Prints von Eva Maria Ocherbauer, die sich pflanzlich und fleischig an die Säulen schmiegen, Wolfgang Müllers schamanisch anmutende Etiketten für isländische Flechtenmarmelade sind ebenso überzeugend wie Thomas Hausers kaleidoskopische Kugelschreiberzeichnungen oder Stephan Balkenhols martialische Holzskulptur „Geflügel“.
Das Harte, Nüchterne ist überall. Darüber können weder Forellenwürstchen, Mangold, noch in Obstkompositionen arrangierte Männertorsos hinwegtäuschen. Was den Unterschichten das Logo von McDonald’s verheißt, offenbart einer globalen Schar von Ally McBeals das Corporate Design ihrer Firmen, Hotels, Bars und Restaurants. Die Leistung dieser einfältigen Ausstellung liegt darin, dass sie gerade das offensichtlich macht, was sie zu verbergen versucht: die absolut nebensächliche Rolle, die hier künstlerische Integrität spielt.
Es ist nicht verwerflich, von den Segnungen der neuen Mitte profitieren zu wollen. Doch ebenso fadenscheinig wie die Heilsversprechungen eines Rucolasalats ist die Hoffnung, Kunst könne unter diesen Umständen mehr sein als die Kultur, an der sie teilhaben will.
OLIVER KÖRNER VON GUSTORF
Bis 30. 6., Reinhardtstraße 14
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