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ex und pop (1): menschnaturtechnik

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Eine flirrende Nervosität bemächtigt sich einer Siedlung am Rande der norddeutschen Tiefebene. Es geht los. Morgen wird die erste Weltausstellung auf deutschem Boden eröffnet, selbstverständlich und ausgerechnet in Hannover, in the middle of nowhere. Dass es dazu kommt, könnte übrigens auch als späte Rache der DDR interpretiert werden: Die Abstimmung vor zehn Jahren gewann unsere kleine Stadt an der Leine gegen Toronto mit einer Stimme Vorsprung, und diese Stimme gehörte dem Abgesandten der DDR.

Ist es auch Geschichte, so hat sich dadurch eine Halbmillionenstadt, deren Einwohner als kühl, einsilbig und zurückhaltend gelten, zum Kraftfeld eines fürchterlich positiven Lebensgefühls gewandelt. Die Wahrheit aber ist: die Hannoveranerinnen und Hannoveraner zeigen ihr wahres Gesicht. Endlich dürfen sie so sein, wie sie wirklich sind. Auf offener Straße recken einander fremde Menschen die Faust in die Luft: Daumen drücken für den Start. Aufmunterndes Schulterklopfen in der Schlange vor der Supermarktkasse: Es wird schon, wir schaffen das. Autofahrer im Berufsverkehr, geduldig im Stau stehend, grüßen mit dem Victory-Zeichen: Alles klar.

Eine Lokalzeitung, ein Lokalrundfunksender und die Deutsche Post toppen das kollektive Dauergrinsen mit ihrer Aufkleberaktion „Ich helfe gern“. Mitbürger wie Kurt Schwitters, der Künstler und Schriftsteller, der in der Emigration starb, sind nirgends mehr zu finden: „Mein Nationalgefühl beschränkt sich auf Hannover-Stadt mit Ausschluss der Nachbarstadt Linden. Oder auf die Waldhausenstraße, und zwar linke Seite, auf der ich wohne. Gegenüber wohnen meine Feinde. Ich stelle mein Maschinengewehr vor mein Haus und schieße jeden Passanten einfach tot.“

Stattdessen Zuversicht und Frohsinn überall, und daher zahlt jeder gern das Sonderopfer Expo, das die Bahn AG verlangt. Strafe muss sein, wird sie sich gedacht haben, und erhebt bis zum nächsten Fahrplanwechsel am 4. November Zuschläge bei jeder ICE-Fahrkarte von und nach Hannover.

Enorme Anstrengungen kostete es auch, die hannoversche Jugend fit zu machen für die künftigen Monate. Eine Viertelstunde früher müssen nun die Schulkinder im Stadtteil Döhren raus aus den Federn, um rechtzeitig zur Schule zu kommen. Auf dem Weg dorthin überqueren sie die Hildesheimer Straße. Was heißt überqueren? Sie warten auf der schmalen Verkehrsinsel, sie warten und warten. Während vorne die Autos vorbeiknülzen, rauschen hinter ihnen bis zu 64 Stadtbahnen mit vier Waggons pro Stunde Richtung Expo-Gelände. Der öffentliche Nahverkehr hat selbstverständlich Vorfahrt. Besorgte Eltern, denen das weitsichtige Denken versagt zu sein scheint, haben bereits Blockaden angekündigt.

Niemand lässt sich also durch die Expo verbiegen. Die Stadt bleibt glaubwürdig und authentisch. Das fängt schon beim hannoverschen Wetter an, und hört auch beim hannoverschen Wetter auf: Es stürmt, es pladdert, ab und zu bricht die Sonne durch. Ein paar Minuten lang wenigstens.

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