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in fußballlandCHRISTOPH BIERMANN über einen netten Chinesen

Der Gesang des Bombers

Das Telefon klingelte und Bernd klang ziemlich aufgeregt. Ja, er war regelrecht aus dem Häuschen. Er müsse unbedingt diese Platte von Gerd Müller haben, ich würde schon wissen. Dieses, wie heißt es noch mal? „Dann macht es Bumm“, half ich irritiert aus. Ja, genau, das würde er dringend brauchen, denn er müsse das Lied auf jeden Fall Xie Hui vorspielen. Oder es ihm am besten auf eine Kassette aufnehmen, damit der es sich immer wieder anhören könne.

Nun gehört „Dann macht es Bumm“ von Gerd Müller sowieso schon zu den eher deprimierenden Erscheinungsformen des Genres singender Fußballspieler. Und warum sollte man es gerade Xie Hui vorspielen, dem chinesischen Stürmer von Alemannia Aachen? Meine leisen Zweifel machten Bernd nur noch enthusiastischer. Und als er zu erzählen begann, konnte ich ihn verstehen.

Bernd hatte einen großen Moment erlebt, wie wir Freunde des Fußballs ihn uns alle wünschen. Eine Phantasie war in Erfüllung gegangen. Denn wollen wir nicht unserem Team, unseren Helden wenigstens einmal direkt behilflich sein? Wirklich eingreifen. Nicht nur dadurch, dass wir sie im Stadion anfeuern. Für Bernd war das wirklich geworden.

In der lokalen Zeitung seiner Stadt hatte er in loser Folge die Profis der Alemannia portraitieren dürfen. Nette, persönliche Geschichten waren das, die abseits vom eigentlichen Sport spielten und einem den Menschen näher bringen sollten. Wenige Tage zuvor hatte er auf diese Weise auch Xie Hui getroffen, den Stürmer aus dem fernen Shanghai. Mit ihm zusammen war Bernd in ein chinesisches Restaurant gegangen und ließ sich von dem Fußballprofi ins Essen mit Stäbchen einweisen. Der Mann aus dem Fernen Osten entpuppte sich dabei als ebenso intelligenter wie charmanter Gesprächspartner, wobei es die Begegnung ungemein erleichterte, dass sie sich völlig problemlos auf Englisch unterhalten konnten.

Irgendwann war das Gespräch auf Gerd Müller gekommen, dessen Mythos als großer Torjäger selbstverständlich auch Xie Hui geläufig war. Bernd erzählte, dass Müller irgendwann einmal gesagt hätte, es wäre schon viel zu spät, wenn man vor dem Tor zu denken anfangen würde. „If you start to think, it is already too late.“ Das saß. Xie Hui schwieg sichtlich beeindruckt und sagte dann wie abwesend: „Genial.“

Da wäre es doch am besten, schloss Xie Hui nach etwas Bedenkzeit, wenn man das Gehirn von der Größe einer Nuss hätte: „Best is, you have the brain in size of a nut.“ Da mussten beide lachen und spekulierten über die Größe des Gehirns von Gerd Müller. Sie plauderten noch ein wenig weiter und zum Abschied erinnerte Bernd den Stürmer: „Viel Glück im nächsten Spiel. Und denk an Gerd Müller.“ Xie Hui antwortete prompt: „Ich denke nicht, ich schieße.“

Drei Tage später war Bernd im Fußball-Himmel. Xie Hui hatte für Alemannia getroffen und sich danach höflich bei ihm bedankt: „Thank you for your advice.“ Ein anderer Alemannia-Spieler hatte Bernd zugerufen: „Kriegst einen Scorerpunkt.“ Und der Pressesprecher versprach sogar eine Prämie, falls es endlich auch mal mit einem Heimtor von Xie Hui klappen würde.

In diesem Rausch der Begeisterung war Bernd dann das Lied von Gerd Müller eingefallen. Als er Xie Hui endlich die mit dem Hinweis „Against Zero Disease“ (Gegen die Nullkrankheit) versehene Kassette überreichen konnte, war der Chinese jedoch leider verletzt. Ein Muskelbündel war gerissen und der Arm eingegipst worden. „Gerd Müller was a singer...?“, fragte er Bernd ungläubig.

Etliche Wochen verstrichen, in denen Xie Hui nicht spielen konnte, offensichtlich aber aufmerksam dem Gesang des Bombers lauschte. Denn als er endlich wieder genesen war und nach der Halbzeitpause des Spiels gegen den 1. FC Köln eingewechselt wurde, schoss er sein erstes Tor im heimischen Stadion. Flanke von rechts, im Fünf-Meter-Raum hochgestiegen und schmucklos eingeköpft. Nach dem Spiel sah Bernd den neuen Torjäger der Alemannia nur von weitem. Xie Hui winkte zu ihm herüber, lachte und rief: „Bumm!“

Fotohinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber

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