zwischen den rillen: Museale White-Trash-Party: Sonic Youth und Brassy
Verschollen auf Planet Rock
Unendliche Weiten. Von irgendwoher wabert eine Gitarre. Dann wabert sie wieder weg. Der Planet kreist. Durch nichts aus seiner Umlaufbahn zu bewegen. Doch wer die mittlerweile fast versunkene Welt besucht, kann dort unten auf der Oberfläche feststellen, dass Sonic Youth weiter trotzig am Noise-Rock arbeiten, den sie einst definieren halfen. Mit „NYC Ghosts & Flowers“, ihrer je nach Zählweise ungefähr 15. Veröffentlichung, scheinen sie sich endgültig von jeder Songstruktur verabschieden zu wollen. Mancher Track wie „Side2side“ ist nur mehr tonlose Stimme, monotones Anschlagen einer Gitarrensaite und ein zähes An- und Abschwellen.
Komischerweise kommt dieser Trotz nie aggressiv daher, ist diese Musik eher getupft als wirklich gerockt. Auch die Texte bestehen manchmal nur aus wenigen, assoziativ miteinander verbundenen Worten. Sie werden von Thurston Moore, Kim Gordon und Lee Ranaldo oft nur mehr gesprochen. So erinnert das fast achtminütige Titelstück nicht an klassischen Rock, sondern an eine Lesung mit Lärm-Band.
Noch niemals waren Sonic Youth wohl auch so weit von den sinfonischen Gitarrenwänden entfernt, die sie in den Achtzigern zusammen mit Glenn Branca bauten. Heute klingen die Gitarren stattdessen einsam und verloren.
Durch manches Stück schleicht sich sogar ein wenig pfeifende, piepsende Elektronik. Die aber verweist nicht auf aktuelle Entwicklungen in Pop oder Dancefloor, sondern auf die Elektronikpioniere aus den Fünfzigerjahren. Früher wollten Sonic Youth Rock zerstören, um ihn wieder aufzubauen. Der erste Teil dieser übermenschlichen Aufgabe ist ihnen nun gelungen. Doch die Bruchstücke, die sie zurücklassen, sind garantiert nicht wiederverwertbar. Die taugen nur noch fürs Museum, wohin Moore und Gordon demnächst ihre Enkel am Sonntag ausführen werden.
Ungerührt zieht der Planet seine Kreise. Doch ab und an wird eine Rakete in die Umlaufbahn geschossen. Diesmal an Bord: Brassy und ihr Debutalbum „Got It Made“. Die wollten den Stammesältesten nicht glauben, dass der Mainstream-Erfolg, der dort draußen wartet, der Teufel ist. Stattdessen lud man sich einen DJ in die Band, der einem unter die schmissigen Gitarrenriffs ein paar flotte Beats legt und ab und an ein Scratch-Solo hinlegen darf.
Kommandantin Muffin Spencer und ihre Crew kennen nur eine Mission: Verbinde das Beste aus beiden Welten, um eine klasse Partyplatte abzuliefern. Muffin ist die Schwester von Jon Spencer (Blues Explosion, Boss Hog, früher mal die New Yorker Noise-Legende Pussy Galore). Da hat sie die schmissigen Gitarrenriffs wohl schon auf den Garagenrockplatten aus den Sixties gehört, die aus dem Kinderzimmer des großen Bruders dröhnten.
Wo Sonic Youth in der Elektronik nach Verunsicherung suchen, dienen die Techniken aus dem HipHop bei Brassy allein dazu, ihren Poprock an die Neuzeit anzudocken. Die Breakbeats, die Schlagzeuger Johnny Barrington gebaut hat, sind im HipHop-Kosmos zwar arg altertümlich, für flotten White Trash aber gerade gut genug. Zudem gehen die sloganartigen Refrains unverschämt gut ins Ohr.
Und doch: Auch Brassy sind trotz aller Jugendlichkeit nicht die Zukunft, sie denken ja noch nicht einmal die Gegenwart des Gitarrenpop konsequent zu Ende. Tatsächlich hören sie sich eher nach den B-52’s an als nach 21. Jahrhundert. Das mag für viele kaum interessanter sein als eine Wasserstandsmeldung, aber so wie’s aussieht, kann Rock ’n’ Roll so altmodisch werden, wie er will, er wird wohl auch dieses Millennium noch überleben. THOMAS WINKLER
Sonic Youth: „NYC Ghosts & Flowers“(Motor/Universal)Brassy: „Got It Made“ (Wiiija/Connected)
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