ex und pop (3): besuchsbetrugsbosheit:
von DIETRICH ZUR NEDDEN
Rette sich, wer kann, aber inzwischen klären sie noch dieSchuldfrage: Der „dramatische Besuchermangel“ (Süddeutsche Zeitung) in den ersten Tagen der Expo generiert allerlei Kobolzschießereien. Erst bricht das Buchungssystem der Reisebüros zusammen, dann liegt es an defekten Drehkreuzen, die eine genaue Statistik verhindern, andererseits an Himmelfahrt, Pfingsten und anderen Überraschungen, die die offiziell kalkulierten Besucherströme versickern lassen. Wiederum heißt es, konkrete Zahlen ließen sich nicht nennen, weil ein „Abrufen aller Buchungszahlen den erneuten Absturz des Computersystems bedeuten“ könne, fünftens war sowieso noch keine Weltausstellung zu Beginn ein Erfolg.
Aha. Warum hat man das nicht einkalkuliert, als man sich die Prognosen ausdachte? Um die Aufregung über hohe Defizite möglichst weit nach hinten zu schieben. Um bei der Vorbereitung einen Zeitpunkt zu überschreiten, an dem es kein Zurück mehr gab. Walter Serner behält selbstverständlich immer Recht: Die Welt will – gerade auch angesichts der Ausstellung ihrer selbst – betrogen sein, und sie wird verdammt böse, wenn man es nicht tut.
Doch soll man etwa jeden Tag den empörten Steuerzahler mimen? Befassen wir uns stattdessen mit den Umgangsformen beim Kulturprogramm im deutschen Pavillon: Die zahllosen Aufsichtshanseln mit Knopf im Ohr und entsprechender Wachhundmiene geben sich, als ob sie am liebsten niemanden einließen. Ihr Verhalten entbehrt nicht einer gewissen Logik, denn nur wenn niemand kommt, ist die totale Sicherheit gewährleistet. So kann es zum Beispiel passieren, dass bei der Uraufführung der katastrophendramatisch vorbildlichen Historiografie in 2.000 Akten, „Stellen aus der Welt“ von Jörg Gronius und Bernd Rauschenbach, nur zwischen drei und zehn Besuchern anwesend sind.
Zum ikonografisch oder ikonoklastisch, mindestens aber zum inkommensurabel interessantesten Ort entwickelt sich der albanische Ausstellungsstand. Einstiegsdroge ist ein Kuppelbunker, in dessen Düsternis das Denkmal eines Helden der Arbeit und Filme aus der Enver-Hodscha-Zeit zu sehen sind. Im zweiten Teil eine kleine Bühne mit Sitzreihen davor, auf denen Puppen von bedeutenden Albanern sitzen, darunter Mutter Teresa und Enver Hodscha, am Revers einen Expo-Ausweis mit Foto, Namen und Berufsbezeichnung „Diktator“. Abschließend ein paar konsequent betextete Landschaftsbilder: „Die Einweihung von Naturreservaten bietet Gelegenheit zu Gipfeltreffen der Staatsoberhäupter und zu politischen Gesprächen mit Politikern aus der Region.“
Das Sinnbild der grotesken Sicherheitsvorkehrungen zur Weltausstellung stand neulich an einer S-Bahn-Haltestelle herum: Fünf hochgerüstete Polizisten kratzten gemeinsam einen Anti-Expo-Aufkleber von der Wand. Ein Wunder, dass sie ihm nicht mit dem Knüppel drohten, wenn er nicht auf der Stelle verschwände. Indessen höre ich, dass eine Bäckerei in Berlin-Friedrichshain ein Expo-Brot anbietet.
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