: Back to Bonn
Alle Welt tummelt sich in der neuen Hauptstadt Berlin. Was ist eigentlich samstagnachts in der Bundesstadt los?
Tagsüber ist Bonn recht angenehm. Viele hübsche Mädchen fahren auf Inline-Skates die Rheinauen entlang, es gibt Biergärten und genügend Parks und nicht zu viel Verkehr und nicht zu wenig, und die Sonne scheint oft, und das Siebengebirge ist ja auch nicht weit.
So gesehen alles bestens in der ehemaligen Bundeshauptstadt, die sich jetzt nur noch, dafür aber gleich am Bahnhof, „Bundesstadt“ nennt, was immer das bedeutet. Die vielen Studenten bleiben den Bonnern ja, und auch die vielen, vielen Jugendstilvillen, in denen vermutlich die Abgeordneten und Ministerialdirigenten wohnten und was es sonst noch gibt in einer Hauptstadt. Als ich Samstag einen Freund besuchte, der freiwillig von Berlin nach Bonn gezogen ist, was ja vorkommen kann, war uns gegen Abend nach einem mittelprächtigen Club. Nur ein bisschen tanzen, mehr war gar nicht gefragt. Wir schrieben alle Adressen aus den beiden Stadtmagazinen Bonner und Schnüss auf einen Zettel. Zirka sieben Adressen. Ja, ja, Bonn ist nicht Berlin, schon klar.
Bei der ersten Adresse war noch nichts los, aber auf einem Schild stand vorsichtshalber „Eintritt für Frauen frei“. Bei der zweiten hatten sich vor dem Eingang zwei sehr breitschultrige junge Männer postiert, die Schlips trugen und etwas abschätzig auf die Löcher in meiner Jeans schauten. Bei Adresse Nummer drei konnte man durch das verspiegelte Guckloch in der Tür nichts sehen, aber ein kleines Bier kostete neun Mark. Bei der vierten Adresse strömten lauter kleine Mädchen in Tops hinein, bei der fünften noch mehr lauter kleine Mädchen.
Die sechste Adresse lag außerhalb, war aber unsere Hoffnung. Kurz zuvor war an diesem Ort eine mittelbekannte Diseuse aufgetreten. Jetzt standen dort viele Leute in einer langen Schlange und hatten irgendwas in der Hand, was wir für Eintrittskarten hielten. Es waren aber Personalausweise. Ein Mädchen in der Schlange erzählte einem anderen, es habe seinen Schülerausweis gefälscht. Die waren also auch gültig.
So war das in Bonn, am Samstagabend. Schließlich landeten wir, nachdem wir ein Jazzlokal gestreift hatten, in dem drei dickliche Musiker vor zwei Zuhörern jamten, in einer Diskothek namens „Nachtschicht“, deren Name nach dem „N“ provokativ mit einer „8“ geschrieben war. Die DJs legten AC/DC auf und Guns’n’Roses und ein bisschen Rammstein. Das gefiel den Bonnern, da tanzten sie gern drauf. Und ich sage: Danke für den Abend, Bonn. Hallo Bonn? Hallo? Seid ihr noch da? DANIEL WIESE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen